drei Kreuze

Du schreibst mir, das erste Mal seit Jahren.
Ich will Dich treffen, steht da. Und dann der Satz, der mir ans Herz geht: sag mir einfach, wann und wo.

Wir verabreden uns am Bahnhof, Du wirst mich vom Zug abholen. Und ich freue mich darauf, ich freue mich auf Dich. Ich freue mich, Dein Gesicht unter den Menschen am Bahnsteig zu sehen, vor Dir zu stehen und zu Dir hochzuschauen, weil ich zwanzig Zentimeter kleiner bin als Du, so wie ich damals zu Dir hochgeschaut habe, als der Schnee dünn und zart wie Puderzucker auf dem Boxhagener Platz lag. Vielleicht wirst Du die Arme um mich legen?
Immer, wenn ich Zug fahre, beobachte ich die Szene von Ankunft und Wiedersehen, beobachte die Gesichter der Menschen, wenn sie einander erkennen. Wie sie lächeln, wie sie sich zärtlich an den Händen nehmen. Ich freue mich, jetzt einmal dazuzugehören, und nicht die Frau zu sein, deren Augen nur das S-Bahn-Schild suchen, damit sie zügig zum Ausgang gehen kann.
Ich bin gespannt, Dich wiederzusehen. Vielleicht finde ich eine Antwort darauf, warum von allen Männern gerade Du mich so sehr aus dem Gleichgewicht gebracht hast. Wir haben uns nur einmal getroffen, und doch war ich lange krank an Dir.
Ich verbringe einen Vormittag meiner Arbeitszeit damit, Deine Mails aus Datenbackups herauszupfriemeln, sie haben zwei Computercrashes beinahe unversehrt überstanden. Ich drucke sie aus, tacker sie zusammen, trage sie bei mir, zärtlich.
Ich kaufe Nagellack, Puder und die Wimperntusche, für die Kate Moss Werbung macht. Ich will schön sein. Ich denke lange darüber nach, was ich anziehen werde. Jeans und Sandalen, unter denen rote Zehennägel hervorblitzen sollen. Avila und eine schwarze Bluse – Knöpfe, das ist wichtig. Ich verzichte auf Schlaf, um Dinge mit meinen Haaren zu tun, die sie duftend und seidig machen.

Am Abend vorher sagst Du ab.

Und ich bin wütend, vor allem wütend auf mich selbst. Weil ich so leichtgläubig bin, weil ich mir erlaube, so verletztlich zu sein. Weil ich es besser wissen müßte, weil ich mehr Skepsis haben sollte. Weil ich die Mails von damals rational und nicht mit rosaroter Brille hätte lesen sollen, dann wäre ich namlich vorgewarnt gewesen.
Letztlich, weil ich so wenig Zeit und Kraft habe, und gerade einen nicht unerheblichen Teil davon verschenkt habe, für nichts – lerne ich denn nie dazu?

Am Bahnhof steige ich aus, suche das S-Bahn-Schild und gehe zügig zum Ausgang. Ich löse ein Ticket, setzte mich in die S1 und fahre zu Justyna. Es tut gut, endlich wieder ein wenig an ihrem Leben teilzuhaben, es tut gut, nicht immer auseinanderzudriften, sondern endlich wieder näher beieinander zu sein. Dann fahre ich mit der U-Bahn zu Glam und bringe ihm Rosen mit. Ich setzte mich in Glams wundervolle Hollywoodschaukel und erzähle Skailight von Dir. Skailight berlinert mir den Kummer weg, sei doch froh, sagt er, daß du noch fühlen kannst. Andere hätten hohe Mauern um sich gebaut. Die Mitte, denke ich mir, ist wie immer schwer zu finden. Aber hier, auf der Schaukel, da ist es gut. Lucky sitzt neben mir, wir schaukeln in Einigkeit. Der Himmel über mir dreht sich, abenddämmerungsblau, sternenklar, und die Menschen ziehen an mir vorbei, wechseln sich ab, und immer sind sie interessant und unterhaltsam. J., die Begleitung von Frank, ist der schönste Mann, den ich je gesehen habe. Seine Stimme, sein Akzent!
Die amerikanische Nachbarin bringt Knicklichter mit. Kitty leuchtet am hellsten, aus ihrem Herz heraus. Als es drei Uhr ist, stehe ich auf und verabschiede mich. Glam, der wunderbare Glam, nimmt mich zum Abschied in die Arme und drückt mich an sich, fest. Es ist die perfekte Umarmung. Ich bin für einen Moment völlig von Glück geflutet, weil Glam mich mag, so wie ich bin, ohne Einschränkung, und weil ich ihn auch mag, so wie er ist, ohne Einschränkung.

Als ich im Bett liege, bin ich nicht mehr wütend auf Dich. Auch nicht mehr auf mich. Du bist verblasst. Ich weiß nicht, ob es ein Engel oder ein Teufel war, der unser Wiedersehen verhindert hat.
Ich weiß nur, daß ich jetzt schon, so wie es ist, gesegnet bin.

Amalia & ich

Ich wache auf, das Gewitter von gestern hat sich verzogen und der Morgen ist sehr sonnig. Ich stehe auf und gehe zum Balkon, halbnackt, und öffne die Balkontür. Sie ist noch da: Amalia, und blinzelt mich total überrascht und leicht verschlafen an, als wäre sie überrascht, daß ich noch da bin. Ich dachte immer, Vögel wachen vor Sonnenaufgang auf und nicht erst gegen acht…
Ich mache mir einen Kaffee, und als ich wieder auf dem Balkon schaue, ist Amalia gerade dabei, enthusiastisch in den Haferflocken zu picken, die ich ihr hingestellt habe, sie trinkt auch. Der Balkon ist vollgekackt, Amalia sieht trocken aus und gesund, soweit ich das beurteilen kann. Ich ziehe mir was an, auch eine Strickjacke, damit sie mich nicht kratzen kann, und versuche dann, sie anzufassen. Sie ist ein keusches Mädchen. Ich suche nach einem Ring, aber mein Gott – sie hat so viele Federn an den Füßen… Wer züchtet eigentlich Tauben mit Federn an den Füßen…sieht blöd aus und besser fliegen können sie dadurch sicher auch nicht.
Ich gebe die Suche auf, nachher fällt Amalia noch vom Balkon, und das mit der Flugtüchtigkeit wollen wir nicht austesten. Also dusche ich und verlasse das Haus. Im ersten Stock höre ich eine Nachbarin telefonieren, ich fasse mir ein Herz und erzähle ihr von der Taube. Ob sie jemand kennt, der Tauben züchtet? Auf der anderen Seite der Gleise, sagt sie, in der Schrebergartenkolonie.
Ich bedanke mich und fahre mit dem Auto vorbei, frage einen Herrn durch die Hecke nach den Tauben und werde dorthin verwiesen, wohin ich schon befürchtet hatte. Ein Schrebergarten ist es nicht, eher eine Art von heruntergekommenem Abstellplatz mit Tieren. Ein kleiner Hühnerverschlag, ein winziger Hasenkäfig, und Tauben, die ich eher höre als sehe. Mauerreste, dahinter Ali Abdul Gebrauchtwagenmarkt. Der Besitzer scheint nicht da zu sein. Ich möchte ungern mit ihm in Kontakt kommen, irgendwie habe ich ein ungutes Bauchgefühl. Amalia aber soll wieder zurück zu ihrem Schwarm, das ist klar.
Ich gehe erstmal arbeiten. Vielleicht hat sie bis heute abend den Weg nach Hause gefunden – es sind nur fünfzig Meter Luftlinie. Wenn nicht, bringe ich sie hin.

Hilfe

Bei mir sitzt gerade eine Taube auf dem Dach Balkon. Das ansich ist nichts ungewöhnliches, aber sie fliegt nicht weg und sieht irgendwie krank aus. Außerdem ist sie wohl keine Straßentaube, weil sie hat Federn an den Füßen (!).
Und nun? Ich habe schon mal ein wenig Toastbrot hingeworfen, das hat sie verschmäht. Hier hats vor einer Stunde extrem geregnet – ich vermute, sie ist naß geworden und kann jetzt nicht mehr fliegen.
Was tun? Falls das nicht der Grund ist, ruft man dann die Tierrettung?
Irgendwelche Vogelexperten hier? DocDee?

Sehr geehrter Herr Heinen,

heinen

vielen Dank, daß Sie mich in der Netzeitung erwähnen. Die Unterstreichung von Erotik und Sexualität bringt mir viel Traffic. Leider ist Quantität nicht gleich Qualität, und so bin ich mir noch unschlüssig, ob Sie es gut mit mir meinen oder heimlich Rache an mir üben wollen, indem Sie mir die ganzen Perversen vorbeischicken. (Hätten Sie Melancholie und Depression unterstrichen, wäre es womöglich schlimmer gekommen.)

Mein Vorschlag an alle, die Erotik und Sexualität suchen:
hier, hier und hier lesen, eventuell onanieren, dann bitte gehen und nicht mehr wiederkommen.

for the records

Heute zweimal von der Mutter meines Nachhilfeschülers umarmt worden (Begrüßung & Abschied). Der Nachhilfeschüler ist endlich & knapp durchs Abitur. Ohne Sie hätte er nicht geschafft sagt seine Mutter mantrahaft. Ich halte das für überhöht, bin aber trotzdem dankbar, daß ich wenigstens diese mir zu gewiesene Aufgabe, nämlich einen jungen Menschen ein Stück seines Lebens zu begleiten, einigermaßen zufriedenstellend erfüllen konnte.
Wir machen zwei Stunden small talk. Wie es mir geht, fragt niemand, aber seine Mutter kocht mir was zu essen. Auch so ein Muster, daß sich durch mein Leben zieht.

(ohne Titel)

Ich muß unbedingt Kleenex kaufen und mir wieder eine Packung neben das Bett stellen. Nachts kommen die Tränen, nicht wie Regentropfen, sondern Wasserfälle. Das ist mir nicht so peinlich wie mein Durst nach Umarmungen. Ich erschleiche sie mir, lege hier und da einen Arm um eine Kollegin. Gehe extra bei Christina vorbei, die umarmt mich immer. Stehe dichter neben dem großen, breiten Kollegen, als es schicklich ist. Unsere Köpfe berühren sich fast, als er mir etwas am Monitor zeigt. Wenn er neben mir geht, streicht sein Ellbogen manchmal über meinen Oberarm, wo mein T-Shirt-Ärmel zu kurz ist.
Ich bin so durstig. Ich schäme mich. Ich bin wie jemand, der aus der Tasse eines Kollegen trinkt.