fast im Fernsehen

Telefon.

ich: „Frau Fragmente, guten Tag?“

Mann: „Guten Tag, mein Name ist Dennis Nuschel von der Produktionsfirma Imago. Hast Du einen Moment Zeit?“

ich: „worum geht es denn?“

Mann: „wir drehen eine Reportage über Pärchen, die eine neue Wohnung suchen.“

Jetzt verstehe ich, woher er meine Nummer hat. Zwecks Nachmietersuche hatte ich im Internet inseriert (mit Telefonnummer).

ich: „Äh. Kein Partner.“

Mann: „auch keine Partnerin?“

ich: „Nein“.

Mann: „Oh“.

Ich: „Naja. Dann noch einen schönen Tag.“

Mann: „Danke, ebenfalls.“

*klick*

Ich sofort Google gefragt: Imago Filmproduktion.
Erleichtert gefühlt.

Eine Nacht mit Bernd Begemann

„Willkommen in der Garage Pankow“, sagt er, „ich glaube nicht, daß meine Auftritte in Berlin noch glamouröser werden können…“
Die Garage ist etwa so groß wie der Spreeblick; vielleicht vierzig Leute sind gekommen. Prenzlauer Berg ist nicht weit, die Männer sind rotzig und tragen alte Adidas-Trainingsjacken, die Frauen Röcke über Hosen und second hand Schuhe. Begemann spielt – von einer Klo/Getränke-Pause abgesehen – mehr als drei Stunden lang. Eine Ein-Mann-Show, begleitet von seiner Elektrogitarre; über die kaputte Beatbox informierte er uns ausführlich. Seine Bühnenpräsenz beeindruckt mich, gleichwohl kann ich mir vorstellen, daß es ein Knochenjob sein muß, dort oben zu stehen und die Leute zu unterhalten, ohne sich zum Clown zu machen. Seine Einstellung zum Publikum ist kein Spiel von Nähe und Distanz, sondern ein Heranziehen und Wegstoßen. Er läßt uns mitsingen, als wären wir alte Freunde, er fordert den Applaus ein („lauter!“), dann aber spricht er schnippisch und süffisant mit uns. Es gibt viel zu lachen, aber es ist nicht Comedy, es ist Kabarett, wenn er erklärt, seine Songs wären überholt, wenn er zu „Judith mach deinen Abschluß – sicher ist sicher“ anstimmt und den Song dem Publikum widmet, denn: „ihr bekommt ja später alle mal keinen Job“. Ich verstehe seinen Drahtseilakt. Er verpackt die Wahrheit in lustiges Geschenkpapier, wir lachen darüber, aber es ist doch genau unser Leben, über das da gesungen wird. Unsere Fehlstellen, unsere kaputten Träume, unser piefiger Alltag. Und seiner auch, denn ist er anders als wir?
Ich wünsche mir „ich nehm’ es zu schwer“, rufe es ihm im geeigneten Moment zu, und er spielt es, mit der Bitte, es möge niemand an den ruhigen Stellen reinquatschen. Und natürlich wird reingequatscht, natürlich gibt es Menschen, die mit der Ernsthaftigkeit, der Intimität seiner Songs umgehen wie mit einer Kiste Schrott: bäng! boom! schepper! Dann spielt er „Unten am Fluß, unten am Hafen“, alle singen mit, ich auch, und merke mir für die Zukunft, daß Begemanns Songs sind wie Blogeinträge: die lustigen lassen sich besser lesen, aber die traurigen sind besser.

Nach dem Konzert sitzt er auf einer weißen Gartenbank im Hof und verkauft seine CDs, die größtenteils nicht mehr im Handel erhältlich sind. Ich stelle mich zu den etwa fünfzehn anderen Übriggebliebenen; er signiert alle CDs und schreibt Autogrammkarten. Ein junger Mann hat Liebeskummer und schüttet ihm sein Herz aus. Ich habe keine Eile, aber als fast alle schon weg sind, fühle ich mich ein wenig ignoriert und frage: „darf ich?“. „Hier dürfen alle!“, sagt er, er klingt nicht nett, es klingt nicht, als ob er mich mag. Ich kaufe „sag hallo zur Hölle“, lasse mir „unsere Liebe ist ein Aufstand“ signieren, sage ihm, was ich zu sagen habe. Es ändert sich was, wir bekommen einen Kontakt, jetzt würde ich gerne noch etwas länger bleiben, da betreten zwei schöne Frauen die Szene, die eine im schwarzen Kleid und Tangoschuhen, legt sich neckisch die Stola über die Schultern und sagt zu Begemann: „du kennst mich gar nicht mehr!“. Zuckersüß. Er reagiert nicht, trotzdem habe ich den Eindruck, es wäre jetzt Zeit zu gehen. „Ich kriege das Cover nicht raus“, sagt er, gibt mir die letzte CD und ich sage danke.
Plötzlich legt er dem Arm um mich, zieht mich zu sich; sein Gesicht an meinem Haar. Seine Haut ist ein wenig kühl, von der Nachtluft oder einer Dusche und er fühlt sich genau richtig an. Dann läßt er los, ich verabschiede mich, stehe auf, gehe weg, schneller als nötig, ohne mich umzudrehen. Auf dem Weg zum Auto grüble ich ein wenig, ob das nun eine marketingtechnische Umarmung war; ob meine Bedürftigkeit so offensichtlich ist, ob er wohl jedem Fan genau das gibt, was er braucht. Nein, erkenne ich, er hätte es nicht getan, wenn ihm nicht danach gewesen ist. Und ich freue mich, weil es ein schöner, ein erotischer Moment gewesen ist. Und weil es genau das war, was ich gebraucht habe.
Wie leicht die Last der letzten Wochen auf einmal geworden ist.

live: 23. September, Berlin, Knaack
und ziemlich oft in Hamburg

audio/video: ich habe nichts erreicht außer dir

Offizielle Homepage: berndbegemann.de

Wikipedia: Bernd Begemann

Taz: Einer von den Guten, einer von Format.

Reptiphon: Heiko Werning fands schrecklich.

fragmente: wir berichteten

nimm mich mit in die Stadt
dreh mich im Riesenrad
auf und ab
doch der Rummelplatz bleibt für mich
menschenleer
ich nehm‘ es zu schwer.

begemann1

machs gut, alte Schlampe

bitch1

if Berlin was a rich bitch, we’d all fuck her less often.

Mach’s gut, alte Schlampe. War schön mit Dir.
Ich bin dann im Ruhrpott.
„Was hat die, das ich nicht habe?“, magst Du fragen. Hey, sag ich, in meiner Generation kann man es sich nicht aussuchen. Man muß dahin gehen, wo es Arbeit gibt. Wir sind Jobnomaden.

Vielleicht sieht man sich mal. Oder ich ruf‘ Dich an.

bitch2

fast berühmt.

Neulich hat mich jemand gefragt, ob ich an einer Lesung teilnehmen würde. Als Lesende. War aber mehr so: „hey – wir machen eine Lesung. Und hey, du könntest ja auch lesen… Aber du hast ja gar keine lustigen Texte.“ Richtig. Bei mir gibts nix zu lachen. Und in ein Abendkleid passe ich auch nicht. Hey.
Fürs Preisbloggen bin ich auch nominiert. Da ist ja mittlerweile jeder nominiert. Da wäre es direkt cool, nicht nominiert zu sein. Zum Thema „braucht der Mensch Sex?“ könnte ich das eine oder andere sagen. Ich kanns aber auch kurz machen: ja. Der Mensch braucht Sex. Ist nur die Frage, wie man welchen bekommt. Man könnte zum Beispiel eine Lesung machen.

Träume voller Wut

Träume voller Wut. Ich stehe in einer Bäckerei und bekomme nicht, was ich will. Ich bin schon zum wiederholten Male da; die Angestellten sind pampig und wollen mich an der Nase herumführen.
Wut, Wut, ich bin ganz erfüllt davon, voller lavakochender Energie, und fange an, den Laden zu zertrümmern. Ich lasse Gläser und Teller auf dem Boden zerschellen; werfe sogar Tische um.
Es verändert nichts; nur, daß ich einen Brief bekommen werde von der Staatsanwaltschaft.
Dann klingelt der Wecker. Ich stelle ihn fünfzehn Minuten vor, lege mich wieder hin, und habe einen Alptraum. Mein Körper zittert und zuckt.

Schreib darüber, sagst Du.

Ich stapfe über die Warschauer Brücke, die Hände in den Taschen. Es ist kalt, nachts um halb drei, aber immer noch belebt. Ich schlucke die Tränen runter, die entgegenkommenden Menschen sollen mich nicht heulen sehen. Warum hast Du mich nicht angefasst, den Arm um mich gelegt, wenigstens? Ich habe Dir die Stadt gezeigt bei Nacht, wir haben Cocktails getrunken und den Zügen nachgeschaut. Einmal habe ich Deine Hand berührt und gleich gemerkt, es ist Dir unangenehm. Jetzt bin ich wie ein Kind, wütend und frustriert.
Es ist ein Fehler in mir, denke ich. Wie ein Webfehler in einem Teppich, immer bleibt man mit dem Finger daran hängen und kann es nicht mehr berichtigen.
Ich soll nicht immer alle Schuld bei mir suchen; mir nicht immer Vorwürfe machen, hat mir mal jemand gesagt. Jetzt erst begreife ich, was es damit auf sich hat: wenn ich alles Falsche in mir vermute, dann nehme ich dem anderen das Recht, seine eigenen Gründe zu haben. Gründe, die mir verborgen bleiben.

***

Du sitzt in meinem weißen Sessel. Du hast mich nach Hause gebracht, hast Dich nicht davon abbringen lassen, ich verstehe nicht, warum, oder was anders ist als in der Nacht, in der Du mich allein hast gehen lassen. Du hast Dir Mut angetrunken, das mag ich nicht. Ich lasse Dich unliebsame Hausarbeiten machen, mitten in der Nacht, und Du erledigst sie mit so viel Freude, als gäbe es nichts schöneres für Dich, als mir zu gefallen. Es wärmt mir das Herz.
„Willst Du hier schlafen?“, frage ich Dich im Vorübergehen und verschwinde in der Küche; Dein verblüfftes Gesicht im Augenwinkel. Als ich zurückkomme, habe ich einen Spruch auf den Lippen, der uns beiden einen Rückzug ohne Gesichtsverlust ermöglicht, aber Du ziehst mich einfach zu Dir, greifst nach mir, lässt mich nicht mehr los und küsst mich, küsst mich.

***

Nacht. Morgengrauen. Morgen. Vormittag. Mittag. Früher Nachmittag.
Leidenschaft. Sex. Ekstase. Knutschen. Löffeln. Umarmen. Streicheln. Dösen. Reden. Zärtlichkeit. Sex. Schweiß. Rumschreien. Löffeln. Lachen. Dösen. Reden. Umarmen. Zärtlichkeit.

***

Es ist nicht der Sex, der bleibt. Es ist das Gefühl, umarmt zu werden, festgehalten, die Zärtlichkeiten. Ich sei wohl sehr verletzt worden, schrieb mir ein Leser; ich habe darüber nachgedacht, aber konnte keine Wunde benennen. Anderen ist Schlimmeres widerfahren. Und doch fängt etwas in mir an zu heilen, in diesem Bett, mit Dir. Du bist sehr gut zu mir.
Auch in meinem Kopf rückt etwas gerade. Ich dachte, mein Leben wäre wie der Sternenhimmel, immer gleiche Sternbilder, Jahr ein, Jahr aus, und mir bliebe nichts, als sie zu beobachten, wissend, welchen Verlauf sie nehmen. Aber unsere Geschichte war nicht, wie sonst üblich, nach dem ersten Absatz zu Ende. Sie hat mich überrascht; es kam anders als gedacht. Du hast mich überrascht; unter Deinen Kleidern kam zum Vorschein, was ich nicht vermutet hätte. Das Leben hat mich überrascht, es ist viel größer, wilder, unerforschter als in meinen Berechnungen.

***

Wie wird es nun weitergehen?
Wir wissen es nicht.

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