Mein Einstieg ist heute ein bisschen langweilig, zumindest für Aussenstehende, aber bear with me:
The Cure hatten mal ein Bandmitglied namens Lol (Abkürzung für Laurence). Lol ist Gründungsmitglied von The Cure, denn er hatte das Glück, mit Robert Smith zur Schule gehen zu dürfen. Das ist ja oft so bei den Bands, einer hat Talent, und ein paar andere gelangen Huckepack zum Erfolg, weil sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort etc.
Bei Lol war es sicherlich nicht das musikalische Können, das ihn ausgezeichnet hat. Erschwerend kam hinzu, dass in der Band immer viel gesoffen wurde, und Lol wohl ganz besonders viel, er war Alkoholiker. Seine eingeschränkte Leistungsfähigkeit wurde dadurch kompensiert, dass er vom Schlagzeug zum Keyboard (einem weniger wichtigen und möglicherweise auch automatisierbaren Instrument in der Musik von The Cure) wechselte, in den späteren Jahren wurde dann ein zweiter Keyboarder eingestellt, gerüchteweise wurde das Keyboard von Lol während der Konzerte nicht mehr an die Lautsprecher angeschlossen.
Zum Bruch kam es während den Aufnahmen zu Disintegration 1989: seine Meinung zum neuen Album, nämlich dass es Shit wäre, brüllte er im Studio hemmungslos heraus. Dann, und erst dann, konnte sich Robert von ihm trennen, und hat ihn gefeuert. Lols eigener Beitrag zum Album war praktisch nichtexistent. Disintegration gilt bis heute als das beste Album von The Cure und möglicherweise als eines des besten Alben der Musikgeschichte.
Vor ein paar Jahren ist Lol wieder aufgetaucht, er hat ein Buch geschrieben über seine Zeit in der Band und über seine Alkoholkrankheit. Es ist ein mittelmäßiges Buch, stark im ersten Fünftel, als es um das Heranwachsen im Thatcher-England der 1970er geht; dann hauptsächlich auf die Suchterkrankung abzielend, mit kurzen Momenten der Selbsterkenntnis und Selbstreflektion, letztendlich aber voller Entschuldigungen und Ausflüchte, wo ich mir die Übernahmen von Verantwortung gewünscht hätte. Über seine Zeit in der Band erzählt er wenig, und fast nichts, dass ich nicht anderswo schon besser gelesen hätte. Ich hoffe, dass er sich mit seiner Erzählung zurückgehalten hat, um die Privatsphäre von Robert und den anderen zu wahren, vermute aber, dass er schlicht keine Erinnerungen mehr hat an mehr als zwei Dekanden in einer großartigen Band.
Was mich an der Geschichte fasziniert, das ist, dass die Band Lol sehr lange mitgetragen hat, jahrelang sogar, ohne dass er etwas beigetragen hat. Und dass es so noch jahrelang hätte weitergehen können, wenn Lol sich nur ein winziges kleines bisschen zusammengerissen hätte.
Dieses Phänomen, dass jemand durch Glück und Privileg in eine Rolle hineinrutscht, um die ihn viele beneiden, und dies dann grob fahrlässig zerschlägt, das beobachte ich interessanterweise auch im beruflichen Kontext, zum Beispiel in meiner eigenen Organisation. Die mit den Privilegien sind meist ältere, weiße Männer – keine Ahnung, ob das Zufall ist oder eine Regel. Die Organisation hält an ihnen fest, jahrelang, es gelten allerhand Ausnahmen, Leistung wird schon längst keine mehr erbracht. Die Männer benehmen sich schlecht, sie machen anderen das Leben schwer, sie sind lästig, sie sind peinlich, alle reden hinter vorgehaltener Hand schlecht über sie. Aber man hat sich auch irgendwie an sie gewöhnt. Zur späten Stunde und im vertrauten Kreis sagt man man müsste mal und dem müsste man es mal so richtig zeigen, aber dann wird es Morgen, und man macht es doch nicht.
Die Trennung kommt, wenn sie überhaupt kommt, erst sehr spät, und erst nach dem Eklat, wenn wirklich alle Masken gefallen, alle Worte gesprochen und nichts mehr zurückgenommen werden kann.
Danke, liebe Lesenden, dass sie bis hier durchgehalten haben, ich komme nun zum Punkt:
Ich frage mich, was in diesen Menschen, in diesen Männern vorgeht. Ich versuche, mich in sie hineinzuversetzen, es gelingt mir ganz besonders schlecht, weil ich als Charakter recht leistungsorientiert bin. Ich versuche es trotzdem. Ich versuche mich in jemand hineinzuversetzen, der nicht dumm ist, und der – aus den unterschiedlichsten Gründen – beschlossen hat, nur noch das absolute Minimum zu tun, um gerade so durchzurutschen. Und gerade hier scheitere ich, denn sie tun ja nicht einmal mehr das absolute Minimum, die Limbostange liegt praktisch auf dem Boden, und dann wird sie abgefackelt und draufgepinkelt.
Warum? Wo ist der Gewinn? Cui bono?
Wenn du gehen willst, dann geh doch? Geh und mach eine eigene Band, die viel bessere Musik macht, geh zu einer anderen Frau, die viel schöner und interessanter ist, oder geh zu einem anderen Arbeitgeber, der dir einen besseren Titel und viel mehr Geld gibt. Geh, und halte den Kopf oben, aber geh.
Warum also? Geht es darum, geliebt werden zu wollen, dazuzugehören, auch wenn man alles immer nur kaputtschlägt? Ich kenne solche Leute auch, instabile Bindungen in der Kindheit, aber hier wechseln sich Phasen der Leistung, gar der Brillianz, mit Phasen der Verweigerung und Unzugänglichkeit ab. Die Unzuverlässigkeit, die als Kind erlebt wurde, wird abgebildet.
Aber diese komplette Leistungsverweigerung, die absolute Non-Compliance, being a pain in the ass, jahrzentelang – was hat es damit auf sich? Wenn es so viel zu verlieren gibt?
Vielleicht weiss jemand eine Antwort in den Kommentaren.