es wird jetzt früher dunkel

Eine Depression ist wie eine Kellertreppe. Manchmal geht man nur drei Stufen hinunter, dreht sich wieder um und geht hinauf. Manchmal ist man so weit unten, daß die Tür nach draußen nur noch ein weit entferntes, helles Viereck in der Dunkelheit ist.Je weiter unten man ist, umso mehr Kraft kostet der Weg nach oben; und je weiter unten man ist, desto weniger Kraft hat man.
Ich weiß genau, wie es dort aussieht, wie es riecht. Wie sich der weiße Putz an meinen Fingern anfühlt. Gestern ging es fünf Stufen runter mit mir.

Draußen regnet es.

Frau Fragmente bekommt ein Magengeschwür.

– Betriebskostenabrechnung: fünfhundert Euro nachzahlen.
-> endlich rechnet sich mal die Mitgliedschaft im Mieterverein!
– heute zum Mieterverein gefahren.
– es regnet. Es regnet sehr.
– es ist Stau.
– unter solchen Bedingungen habe ich einmal den Teufel getroffen.
– endlich bin ich in der Forststraße.
– die Forststraße ist eine sehr lange Straße.
– 452, lese ich. Ich muß zur Nummer 25.
– ab Nr. 403: Baustelle, Vollsperrung, Umleitung.
– Frau F. kurvt durch die Stadt, Magen ist schon ganz übersäuert
– Frau F. trifft wieder auf die Forststraße. Nr. 300.
– sehr viel später: Forststraße 25.
– Schild an der Tür: bis 18.8. geschlossen.

Was tun? Frustkaufen wäre kontraproduktiv, außerdem habe ich das gestern schon gemacht wegen Herbstdepression. Frustfressen geht nicht wegen Magen. Und Pornos funktionieren bei mir nicht so.

Es regnet immer noch.

Timing ist alles.

Aufgestanden. Geduscht. 30 Minuten Haare gebürstet. 400 km Auto gefahren. Sehr gelangweilt. Angekommen. Meine Mutter und meinen Vater umarmt. Kaffee getrunken. Mir vom anstehenden Prozeß gegen die zahlungsunwillige Mieter der Wohnung meiner Eltern erzählen lassen. Ankunft Schwester. Schwester bewohnt das Haus meiner Eltern in deren Urlaubsabwesenheit. Großer Bahnhof, weil Schwester ihren Ehemann, ihren Hund und ihre beiden Pferde (!) mitgebracht hat. Danach mit Schwester und Hund kurzen Spaziergang gemacht. Das Gras steht sehr hoch, selbst auf den Feldwegen. Mich meiner Schwester sehr nah gefühlt. Mich klein gefühlt, nicht unbedingt auf negative Weise, einfach klein und jung und kindlich. Meine Schwester ist sehr schön. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, erscheint sie mir noch schöner, ganz schlank und wie eine Prinzessin aus dem Märchen.
Nach Hause gekommen, umgezogen und aufgehübscht. Mich gesorgt, nicht vorzeigbar zu sein. In schwarz gekleidet, mit offenen Haaren und Perlenohrringen, die mir meine Schwester zu Weihnachten geschenkt hatte, dann doch präsentabel gewesen.
Onkel Reinhold und Tante Sigrun abgeholt und zu siebt in ein edles Restaurant gegangen. Onkel Reinhold ist kein Nennonkel, aber auch kein richtiger Onkel. Er ist das Kind aus der 2. Ehe meines Großvaters mit einer jugoslawischen Adeligen; meine Mutter ist Kind aus der 3. Ehe meines Großvaters mit einer blutjungen Dolmetscherin. (Von seiner ersten Ehe mit einer Barpianistin sind leider keine Kinder und nur wenige Geschichten überliefert.) Onkel Reinhold ist bzw. war ein berühmter Rechtsanwalt, hat ca. 30 Bücher veröffentlicht und hat gerade eines in Vorbereitung. Er ist Experte für Verfassungsprozeßrecht und ein ziemlicher Narzißt. Insofern muß man sich keine Gedanken über das Tischgespräch machen; es geht sowieso den ganzen Abend nur um ihn. Als er mich gefragt hat, wie es bei mir denn so läuft, habe ich gelogen und gelächelt und gesagt: „alles blendend“, wie es von mir erwartet wurde.
Zwischendurch mußte ich ihn doch bewundern. Äußerst scharfsinnig, überaus gebildet. Wir sind eine Familie von durchgeknallten Intelektuellen, allesamt.
Nach mehreren Stunden und mehreren hundert verspeisten Euros nach Hause gegangen. Geschlafen. Aufgestanden. Die Eltern zum Flughafen gefahren. Meine Mutter extrem gereizt, wie immer, wenn sie unter Streß steht, hat mir auf der Autobahn erzählt, wie sehr sie unter dem Verlust ihres Vaters, meines Großvaters, gelitten hat. Und ich wußte nichts zu sagen, hatte Tränen im Hals. Laß uns einfach vor dem Flughafen raus, sagte sie, und zwei Minuten später waren sie weg.
Und so kam es, daß wir nicht über unseren Streit geredet haben. Kein weiterer Streit, keine Rumgeheule, keine unangenehmen und peinlichen Situationen für mich. (Und niemand hat gesagt, ich wäre zu dick.)
Vielleicht ist es nicht verwunderlich, daß mir mein Vater weiterhin fremd geblieben ist. Als hätten wir uns schon lange entfremdet, schon vor unserer eigentlichen Auseinandersetzung. Als wäre etwas an mir, daß ihn auf Distanz hält.

cleanliness is next to godliness

Momentan Putzfimmel. Hat damit begonnen, daß ich demnächst meine Eltern zum Flughafen fahren muß. In meinem Auto, das sie vor zirka zehn Jahren bezahlt haben. Es ist ein schönes Auto, wird aber von mir leider als Abstellkammer mißbraucht. Zweimal im Jahr sauge ich den Fußraum aus. Im Kofferraum befindet sich immer noch die Kühlbox, die ich beim Grillen mit zwei Berliner Bloggerinnen im Mai oder Juni ’05 dabei hatte. Und der Stil einer Malerrolle, mit der Frau Engl im Juli letzten Jahres freundlicherweise meine Zimmerdecke endrenoviert hat. In der letzten Woche habe ich jeden Tag zwei Tüten mit Kram aus dem Auto in die Wohnung (vierter Stock! kein Aufzug!) geschafft, wo er jetzt im Weg steht. Heute habe ich zwei Stunden lang eine sogenannte „Innenreinigung“ durchgeführt. Im Anschluß an die Außenreinigung, aber das hat die Waschanlage gemacht.
Zudem wurde ich vor ein paar Tagen in die Welt der Klappwischer (auch „Flachwischer“) eingeweiht. Sofort begeistert die Wohnung gefeudelt. Bett frisch bezogen etc. Hätte gerne auch noch die Fenster geputzt, war aber bedauerlicherweise zu dunkel.
Frage mich, ob der Putzfimmel ein Ventil für Streß sein könnte. Ich habe nämlich Streß wegen dem anstehenden Familientreffen samt Fahrt zum Flughafen, von Schiß ganz zu schweigen. Der Rat, man solle da doch am besten entspannt bleiben, hilft da auch nicht weiter. Andererseits – apropos „entspannt“ – ist mein Sexdrive zur Zeit ein wenig gesteigert. Könnte also auch was biologisches sein. Nestbautrieb. Hyperaktivität. Irgendwas mit dem Hypothalamus.
Einen Putzfimmel zu haben ist allerdings nicht das schlechteste.

(ohne Titel)

Mit Ruth beim Chinesen über Gott geredet. Neulich wurde bereits meine Neigung zu unpassenden Tischgesprächen kritisiert, als ich mit einem Science Fiction Autor über Science Fiction reden wollte. Aber wie soll man auch sonst erfahren, was einen wirklich interessiert.
Ruth hat mich mit der Äußerung überrascht, sie hoffe, nach ihrem Tod für die ganze Scheiße, die sie in ihrem Leben so ertragen mußte, belohnt zu werden. Um das zu verstehen, muß man wissen, daß sie eine von diesen Nonnen geleitete Klosterschule besucht hat. Außerdem hasst sie ihren Job bei einer Versicherung, hat eine modellhaft verkorkste Familie und findet ihre Haare zu dünn.
Ich bin ja mehr dafür, das jetzige Leben so paradiesisch wie möglich zu gestalten, weil was nach dem Tod kommt, das weiß man ja nicht so genau. Ich hoffe immer, daß ein Apfelbaum aus mir wächst.

Am Tisch neben uns tauchte dieses Pärchen auf. Er mit Rotzbremse, saß ihr diagonal gegenüber, also so weit voneinander weg wie möglich. In ein paar Jahren sitzen sie vielleicht nicht einmal mehr am selben Tisch. Sehr seltsam. Unnötig zu erwähnen, daß sie nichts miteinander geredet haben. Sie gingen zum Buffett, schaufelten sich voll, guckten aneinander vorbei und waren in zwanzig Minuten fertig. Ruth und ich gingen dann zwei Stunden später, nachdem wir außer über Gott auch noch über die Welt geredet haben. Dann lasen wir uns aus unseren eMails von 2001 vor. Später hielt mich Ruth sanft am Arm fest, damit ich beim Überqueren der Straße nicht überfahren werde. Hat auch seit zwanzig Jahren niemand mehr bei mir gemacht. Für den Heimweg hat sie mir ein paar Thunfischsandwiches eingepackt.
Über die Jahre haben entweder ihre Schrullen abgenommen oder meine Toleranz zugenommen. Oder beides. Jedenfalls war es ein perfektes, entspanntes Wochenende.

(Ich mag partnerlos sein, dachte ich auf der Rückfahrt, aber allein bin ich nicht.)

(ohne Titel)

Wenn ich glücklich bin, dann spüre ich das Glück wohlig und warm unter dem Solarplexus. (Logischerweise genau dort, wo ich auch das Unglück spüre.) Wenn ich glücklich bin, dann fühlt sich mein Körper sehr entspannt an, so ähnlich, wie wenn man im Winter in eine Badewanne mit warmen Wasser steigt. Wenn ich glücklich bin, dann spüre ich das nicht nur im Körper, sondern auch in der Seele.
Ich bin dieser Tage sehr glücklich. Manchmal wache ich morgens auf, ziehe mich an und höre dabei meine Lieblingslieder, und ich merke, ich bin glücklich. Manchmal gehe ich durch einen Park oder über die Felder und merke, ich bin glücklich. Ich weiß nicht, ob es dafür einen Grund gibt. Meine Arbeit ist zur Zeit recht interessant, es gibt eine neue und sehr nette Kollegin und keine Probleme mit dem Chef. Das Geld ist wenig, aber dank Steuerrückzahlung reicht es sogar für ein paar Tage am Meer. Ich habe mich mit Ruth versöhnt. Das wären gute Gründe, aber es gibt auch Gründe, um unglücklich zu sein: die Schwierigkeiten mit meinen Eltern oder diese Sache hier.
In mir hat sich etwas verändert. Ich weiß nicht, wie es passiert ist und ob es so bleiben wird, aber wenn ich daran denke, daß ich wahrscheinlich partnerlos bleiben werde, dann macht mir das keine Angst mehr. Es macht mir auch keine Angst, mich im Badeanzug zu zeigen oder nackt im Meer zu baden. Ich merke, daß ich den Themen, die mich früher nachts im Bett haben weinen lassen, nun zunehmend mit Gelassenheit begegne.
Was bleibt, ist die Sehnsucht; ein Gefühl, das in Rachen und Speiseröhre sitzt. Als ob man großen Durst hätte, weshalb man wohl auch verleitet wird zu glauben, Essen und Trinken würde Abhilfe schaffen. Selbst oder vielleicht gerade wenn ich glücklich bin, spüre ich auch die Sehnsucht. Sie begleitet mich ein Stück des Weges, bis aus dem Weizen- ein Maisfeld wird oder aus Wiese ein Wald. Dann verabschiedet sie sich und läßt mich zurück in diesem wunderbaren Sommer. Ob ich glücklich bin, weil ich so viel Glück gehabt habe; oder ob ich glücklich bin, weil ich das eine oder andere richtig gemacht habe – ich weiß die Antwort nicht, und es spielt auch keine Rolle.

schlechte Nachrichten.

Bei Frau Engl wurde eingebrochen, Computer gestohlen, wertvolle Daten, unbezahlbare Texte weg. Dabei ist sie doch ohnehin schon mit den Nerven am Ende wegen endloser Renovierungsarbeiten. Ronsens hat sich einen oder auch beide Arme gebrochen, das eigentliche Problem ist der befristete Vertrag, der Kranksein nicht vorsieht. Dooce hat Krebs und auch der Waiter hat eine traurige Geschichte zu erzählen.

Bloggertreffen. Nachlese.

Das Bloggertreffen war mal wieder sehr schön. Eine Sammlung der Berichte gibts bei Stefan zu lesen.
Thorsten Küper hat meine analytisch-investigative Art als Interview begriffen. (Ich bin, so fürchte ich, immer so und kann das auch nur schwer abstellen.) Die Grenze zwischen Interview – Befragung – Verhör ist unglücklicherweise fließend… Zum Trost sei noch einmal auf das Buch hingewiesen, in dem seine hervorragende Kurzgeschichte „das Spiegelbild des Teufels“ zu finden ist. („Lasar hat mir die Sterne erklärt“ gefällt mir als Titel ja besser.)
Mirtana lobt meine „schönen Haare“, woraufhin ich klarstellen muß: Mirtanas Haare sind schöner, weil nicht so dünn wie meine. Außerdem habe ich sie (also ihre Haare) zum Abschied kurz angefasst – sie waren traumhaft zart und seidig.
Der Paraflyer plant schon das nächste Bloggertreffen, zu dem ich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit erscheinen werde.
Zum Schluß noch zwei Weblogs, die ich ab jetzt lesen werde: Flußkiesel und Prospero, beides Bibliothekare.