Wer hat…

Heute morgen kam der Schornsteinfeger.
Ich habe Angst vor dem Schornsteinfeger.

Als er letztes Jahr da war, fand ich mich plötzlich in seiner Umarmung wieder. Dies stürzte mich in tiefe Verwirrung. Ich glaube, ich stand damals noch auf dem Standpunkt „kein Sex!“. Ungünstig war auch, daß ich seinerzeit dieses Bett hatte, welches hin und wieder zusammenkrachte. Zudem war ich aus irgendwelchen Gründen (möglicherweise die unchristliche morgentliche Stunde, zu der sich Handwerker gewöhnlich anzumelden pflegen) nicht geduscht, hatte die Zähne nicht geputzt und trug keinen Büstenhalter. So mußte ich ihn dann aus meiner Wohnung hinauskomplimentieren, was ihn nicht daran hinderte, wegen irgendetwas, das er angeblich „vergessen“ hatte, noch einmal vorbeizukommen (frostige Stimmung meinerseits).

Wie aber kam es überhaupt dazu, daß mich der Schornsteinfeger an sein Herz drückte?
Das frage ich mich auch.

Rückblickend rekonstruierte ich, daß unser Gespräch irgendwie aufs duschen kam. Möglicherweise habe ich mich dafür entschuldigt, daß ich noch nicht geduscht hatte, oder die Heizungswartung verhinderte, daß ich duschen konnte, oder dergleichen. Ich verstehe ja nichts von Männern, aber vielleicht dachte er: Frau unter der Dusche + Handwerker = Porno. Nun ist mein körperliches Erscheinungsbild ja recht weit von dem eines Pornstars entfernt, die Brüste mal abgesehen. Möglicherweise hat der Schornsteinfeger gute Erfahrungen mit der Anmache von alleinlebenden, frustrierten Frauen in Berlin gemacht. Wer weiß.

Dieses Mal witzelten wir nur über meine zum Trocknen aufgehängte Unterwäsche. Frau Changes, die leider schon seit längeren offline ist und eine exzellente Quelle wahrer Wahrheiten war, erzählte mir, nie sei es so gut gewesen wie mit einem Handwerker. Vielleicht habe ich da was verpasst? Nur leider hat der Mann mit dem Bärenfellumhang die Latte hoch gelegt, wenn es darum geht, sich mit jemandem wohl zu fühlen, da kann der Schornsteinfeger gar nicht gegen anstinken, wa. Er fehlt mir, aber wenn er hier wäre, dann würde ich ihn vermissen.

Bahn Fahrn V

Zwischen Braunschweig und Kassel-Wilhelmshöhe Bilanz meines Lebens gezogen. Gar nicht so schlecht. Da ist eben diese eine Fehlstelle, diese offene Wunde, rohes Fleisch, die weh tut, wenn man nur drauf schaut. Es gibt diesen einen Satz, und jedes Mal, wenn ich ihn nur in meinem Kopf sage, steigen mir die Tränen in die Augen. Ganze Packungen Kosmetiktücher habe ich schon weggeheult deswegen. Jedes Jahr ein Wort aus diesem Satz, habe ich mir gedacht, bis ich es in ein paar Jahren gelassen aussprechen kann, angenommen habe. Ich werde mir ein Bahnwärterhäuschen kaufen und ein schönes Leben führen.

Bahn Fahrn IV

Immer wieder interessant: das wechselnde modische Empfinden der Dorfjugend. Beobachtete ich die letzten Jahre noch einen starken Hang zu Bufalo-Schuhen (das sind diese Plateau-Sportschuhe – ein Widerspruch in sich), sind jetzt auf Hüfte geschnittene Jeans der letzte Schrei. Ganz wichtig: ein Stoffgürtel, der sich farblich stark abhebt (weiß oder rosa).
Dafür habe ich bei meiner Ankunft in Berlin (Warschauer Straße) gleich drei Frauen mit einer schwarzgefärbten Ponyfrisur gesehen (ungefähr so wie Mieze von Mia, aber ich kenne mich da nicht aus).

Bahn Fahrn III

Goldrichtige Entscheidung, meinen Vater zu besuchen, und vielleicht deshalb nicht halb so anstrengend wie befürchtet. Überhaupt gefällt mir das Verhältnis zu meinen Eltern im Moment sehr gut. Es ist nicht mehr so eng, hat sich gelockert, ist dadurch aber nicht weniger liebevoll geworden. Es gibt weniger Kritik, weniger Sorgen, mehr Vertrauen in mich. Ob das so gut ist? Ja. Denn ich habe schon genug kritische Stimmen in mir.

Wie wir uns verpasst haben

Ich habe ihn sofort erkannt.
Ich gehe an ihm vorbei, checke die Lage, und als ich zurückkomme, spreche ich ihn an.
„Es würde jetzt wahrscheinlich blöd klingen, wenn ich sagen würde, wir haben uns schon einmal gesehen…“ Ich gehe davon aus, daß er nicht weiß, wer ich bin, nicht weiß, daß er mir aufgefallen ist, aber er sagt: „ja, wir haben uns bei der Lesung in der Laine-Art gesehen. Sie sind Frau Fragmente, und Sie haben über mich geschrieben.“
Erst sehr viel später werde ich realisieren, was für eine abgefahrene, seltsame, durchgedrehte Situation das ist. Daß er sich offensichtlich von jemanden hat zeigen lassen, wer die Frau Fragmente ist; denn allein von den Bildern kann er mich nicht erkannt haben; daß er mein Blog liest, daß ihn aber irgendetwas – es wird wohl nichts gutes gewesen sein – davon abgehalten hat, Kontakt zu mir aufzunehmen. Ich hätte es also besser wissen müssen, so aber schlittern wir in den Smalltalk. Ich bemühe mich, charmant, geistreich und eloquent zu sein und merke dann, daß ich lediglich bemüht wirke; werde schüchtern, vergesse manche Worte. Wir reden übers Bloggen (worüber sonst?); er sagt, daß er nicht bloggt. „Dann haben Sie wohl nicht genug Leid erfahren?“, versuche ich einen Witz. Ob ich keine Freunde hätte, denen ich meines erzählen kann, fragt er. Und zwischen der verunglückten Kommunikation, den Vorbehalten und subtilen Beleidigungen blitzt doch für einen Moment ein interessanter Mann auf; ein genauer, kluger, stiller Beobachter. Ich liebe das Muster seines Anzuges.
„Die Lesung geht weiter“, sagt er, und ich verstehe: es ist Zeit, die Unterhaltung zu beenden.

Zuhause suche ich nach dem Text, in dem er auftaucht. In meiner Erinnerung habe ich ihn in einer Rezension der Lesung im Dezember erwähnt; aber ich schreibe nicht mehr über Lesungen, ich habe auch so schon genug Probleme. Stattdessen finde ich ihn hier: der Mann mit der rosafarbenen Zeitung. In dem Beitrag ist er eine Metapher für jemanden, dem man nicht nahe kommen kann; für eine verpasste Gelegenheit.
Ich glaube, ich hätte Dich gut leiden können. Und Du mich vielleicht auch, wenn nicht das Blog, wenn nicht meine komische Art, und überhaupt, die ganzen wenns. So bleibt mir nur, Dir alles Gute zu wünschen.

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