vor dem Roten Salon

Ich gehe zur
Bloglesung
(Dienstag, 26.10., 20 Uhr, Roter Salon der Volksbühne, Berlin). Mag sich der eine oder andere mit mir vorher in einem nahegelegenen Lokal ein bisschen warmtrinken?

Frau Engel? Frau Changes? Frau Schnatterliese?

(auch Nicht-Blogger und Männer sind erlaubt).

EDIT

Ich reiche zwei Links nach (ich dachte, der Link zur Blogbar hätte das schon abgedeckt, aber Frau Engel weist zurecht darauf hin, daß da was fehlt):

Roter Salon
Hier ist die Lesung zwar nicht im Programm gelistet, dafür gibt es ein Bild vom Roten Salon. Ich schätze, vorbestellen muß man nicht, aber wer früh kommt, sitzt besser (sorry Frau Engel & sorry Fry).

Volksbühne
Hier ist die Lesung im Programm gelistet, soweit ich das verstanden habe, kostet der Eintritt 6 Euro.

irreversibel

Ich kann Vergewaltigungsszenen in Filmen nur sehr schlecht aushalten. Seit Sonntag verfolgt mich eine Szene aus Leaving Las Vegas . Die Prostituierte Sera wird von drei Footballspielern vergewaltigt, a job gone bad . Danach kauert sie in der Dusche, hält ihre Knie umschlungen; zwischen ihren Beinen läuft blutiges Wasser hervor. Rape-related humiliation: der Taxifahrer, der sich über sie lustig macht; die Vermieter, die sie hinauswerfen, nachdem sie sie mit zerschlagenem Gesicht nach Hause haben humpeln sehen.

Vielleicht kann ich es deshalb nur schwer aushalten, weil es zu nah an der Realität ist.

Just when I think I have picked myself up and am dusting myself off, I become worthless all over again.

Abgründe

Vor mehreren Jahren erlebte Frankfurt am Main einen Bankenboom. Jeder, der nicht bei drei auf dem Baum war, wurde eingestellt. Es ist eine andere Geschichte, daß auf den Boom immer der Crash folgt, jedenfalls suchte Ruth dringend Arbeit und in Berlin gab es schon damals nichts. So fing sie zusammen mit ein paar Studienabbrechern in einer Frankfurter Bank an. Von einem Typen erzählte sie öfter: daß er unglaublich böse gucken konnte, aber auf dem Weg von der U-Bahn die Alditüten für sie trug. Ein rätselhafter, scharfsinniger, charismatischer Mann. Sie trank ihn unter den Tisch.
2001 wurde der Mann von der Frau, die er liebte und mit der er zusammengelebt hatte, wegen eines anderen verlassen. Daraufhin (temporal? kausal?) begann er unter dem Namen „rome“ und der url „rounders.de“ ein Weblog. Ein verstörendes, schonungsloses Weblog, schonungslos gegenüber sich selbst und den anderen. Moralisch zweifelhaft, voller Nutten- und Casinogeschichten. Misantroph. Mit detaillierter Beschreibung all der Wunden, die ihm jene, die er liebte, zugefügt hatten. Voller Ratlosigkeit darüber, was denn nun zu tun sei mit der Zeit zwischen dem ersten und dem letzten Atemzug.
Irgendwann wollte Ruth nichts mehr mit rome zu tun haben, die Gründe dafür sind vielschichtig und wohl in ihrer komplizierten Persönlichkeit zu suchen; sein Weblog jedoch hat seinen Teil dazu beigetragen.

Ich habe sein Blog ebenfalls gelesen, vielleicht sogar intensiver als Ruth, es hat mich auf eine unerklärliche Art und Weise beeinflußt und berührt. Rome hörte Anfang 2003 mit dem Schreiben auf und hinterließ eine Lücke, die nicht zu schließen war. Ich erinnerte mich an eine Äußerung, daß er sein Zeugs lieber lesen als schreiben wolle, und so wuchs in mir der Gedanke, daß ich vielleicht das, was ich lesen möchte, einfach selbst schreiben muß. Denn wer sonst tut es?

Ich verschwieg dieses Weblog vor Ruth. Das ist ja auch nur eine kleine Sache, nichts wichtiges, die paar Zeilen. Doch es wurde schwierig. Vieles, was mich bewegte, konnte ich nicht erzählen, und sie merkte das. Sie spürte, wie wir uns entfernten und sprach es auch aus.

Als ich ihr vor wenigen Tagen von meinen Fragmenten erzählte, fragte sie mich sofort, ob es so sei wie Rounders. Nein, sagte ich, Herr Rounders hatte Stil und gute Geschichten. Dennoch, so vermutete Ruth, rome und ich, wir schreiben wohl beide über die menschlichen Abgründe. Über die Abgründe in uns. Über das, worüber man besser schweigen sollte.

Ruth fühlt sich von mir belogen und verraten; ich kann ihr kaum widersprechen. Sie sagt, Rome hätte geschrieben, weil er es niemanden hatte erzählen können. Aber bei mir lägen die Dinge doch anders, oder?

Badewannengedanken.

In Justynas Urlaubsabwesenheit hüte ich gerade deren Heim und Haustier. Einer der Vorzüge ihres Heims gegenüber meines Drecklochs ist, daß Justyna eine Badewanne besitzt. Nicht nur das, es gibt sogar genügend warmes Wasser, um selbige zu füllen. Voller Freude stieg ich also gestern in die Fluten, doch leider mußte ich festsellen: ich kriege meine Brüste nicht unter Wasser. Dies minimiert das Badevergnügen in ganz erheblichen Maße. Alles ist warm und wohlig von Wasser umgeben, aber gerade die empfindlichen Teile dienen als Kälteaustauscher.
Woran liegt das? Am Winkel des Oberkörpers? An meinem Körperumfang? Weil Gott einem nichts, aber auch gar nichts gönnt?

Justyna besitzt nicht nur eine Badewanne, sondern auch Kabelfernsehen. Ich habe jetzt also fünfzigtausendmal das Video von Maroon 5, sowie „die letzte Welle“, sowie „Symphonie“ (ganz schlimm), sowie irgendeine Dreizehnjährige („JoJo“) gesehen. Es ist nicht wirklich abwechslungsreich. Jedenfalls, um den Bogen zu schlagen, einmal kam auch Britney Spears und bringt sich in der Badewanne um. Und deren Brüste, so weit ich das sehen konnte, sind auch nicht unter Wasser, nur ein bisschen mit Schaum bedeckt. Silikon schwimmt eben oben, mag der eine oder andere jetzt denken, aber vielleicht müssen Badewannenfabrikanten einfach umdenken.

Als nächstes versuche ich es mal mit einem Jacuzzi.

Ich schnitt mir die Haare ab

Ich schnitt mir die Haare ab, direkt unter dem Zopfgummi des Pferdeschwanzes, mit einem Messer. Ein halber Meter hennarotes, seidiges Haar in meiner linken Hand, wie ein totes Tier, kein Teil mehr von mir. Ich stehe im Badezimmer meiner Eltern und sehe mich mit kurzen, schwarz gefärbten Haaren im Spiegel, die Frisur, die ich mit vierzehn oder fünfzehn hatte, auch mein Körper ist wieder so.
Mir wird klar, was ich getan habe. Ich bin entsetzt, bekomme Angst, der Traum wandelt sich zu einem Alptraum, ich spüre, wie ich mich im Bett verkrampfe, zittere. Wie könnte ich nur, und jetzt läßt es sich nicht mehr rückgängig machen.

Ein leichtes Aufwachen, ein Bewußtwerden, dies hier ist nur ein Traum, dann geht es weiter. Ich bin zu einem Fest einer Freundin meines Chefs eingeladen. Die Freundin hat zwei Söhne, der ältere ist sehr cool, es gibt kein anderes Wort dafür. Wie der Kerl aus der Jeans-Werbung. Er fragt mich, wie es mir geht, und ich sage, ach, schon viel besser als damals, als ich mein Diplom gemacht habe. (Anscheinend haben wir uns bereits vorher getroffen, im Traum in dieser oder einer anderen Nacht.) Jetzt habe ich endlich mal Zeit für mich, erzähle ich ihm, nach der Arbeit, dem Haushaltskram, der Zeit mit Freunden bleiben mir tatsächlich zwei oder drei Stunden nur für mich. Und er sagt: „vielleicht solltest du dir eine Auszeit nehmen, sechs Wochen oder so. Damit du dich um dein gebrochenes Herz kümmern kannst.“ Und ich denke, ich habe also ein gebrochenes Herz? Es klang übrigens gar nicht kitschig, als er es sagte, nicht so, wie jetzt in Buchstaben.
Mein Chef zieht die Augebrauen hoch und guckt skeptisch. Sechs Wochen frei? In einem anderen Leben vielleicht.

das ist also mein Leben

Ich trete hinaus auf die Straße, die Luft ist warm; die Tram biegt ratternd und quietschend um die Ecke. Und ich denke: das ist also mein Leben. Nichts wirklich falsch gemacht und nichts wirklich richtig. Wenigstens in meinem Scheitern wäre ich gerne großartig gewesen. In der Arbeit gelingt mir hin und wieder etwas. Mittelmaß. Der Dispo ist röter als sonst, bedenklich rot, aber so weit entfernt von einem Herrn Rounders, der fünfzigtausend mit Optionsscheinen für AMD verliert, vom Casino und den Nutten gar nicht zu reden. Der hatte wenigstens Casino und Nutten und gute Geschichten zu erzählen. Ich habe einen Sessel von Ikea.
Die Liebe. Keine Liebe. Nichts, was mich zerstört hätte oder aufgefressen, was mir unter die Haut gegangen wäre, was mich nachts nicht schlafen ließe. Niemand, der mich aus der Bahn geworfen hätte, ruiniert und beschenkt gleichermaßen.
Liebe die Makel!, denke ich, mit Ausrufezeichen, liebe dein Scheitern und die Begrenzheit deines Lebens. In mir steckt nichts wagemutiges, nicht in meiner Erziehung, nicht in meinem Wertesystem, nicht in meinem Charakter. Was es brauchen würde, um großartig zu sein, ich weiß es nicht. Mut könnte eine Komponente sein, aber es ist nichts, für das es eine Formel gibt oder wozu man sich entschließen kann. Man ist es, oder man ist es nicht.

Ich werde wohl ein Kleingeist bleiben, voller Sehnsucht nach Größerem.