Beobachtungen

Ich beobachtete: Es gibt einen Vorteil, den das Wissen bietet, aber nicht das Unwissen, wie es einen Vorteil gibt, den das Licht bietet, aber nicht die Dunkelheit:
Der Gebildete hat Augen im Kopf, der Ungebildete tappt im Dunkeln. Aber ich erkannte auch: Beide trifft ein und dasselbe Geschick.
(Koh 2,13-14)


Wenn ich aufschreibe, was mir durch den Kopf geht, was ich empfinde, vielleicht gelingt es mir dann, Verknüpfungen zu machen, eine Serie zu bilden, die Punkte zu einer Kurve zu verbinden und zu interpretieren, Konsequenzen zu ziehen: das Leben festhalten.

(der erste Beitrag in diesem Weblog).

Ja, ich habe Erkenntnisse gezogen aus diesem Weblog. Ja, dieses Wissen hat mich dazu gebracht, das eine oder andere zu verändern. Doch in meinen Aufzeichnungen finde ich viele Ereignisse, die sich meinem Einfluß ganz und gar entzogen haben. Der Spielraum, den man hat, ist begrenzt von Schicksal und Zufall, von Arbeit- und Gesetzgebern, von wirtschaftlicher Lage und sozialem Umfeld. Das Licht meines Verstandes ist schwach, meine Einsicht gering, aber: ich lerne dazu. Und lerne auch, anzunehmen, was ich nicht ändern kann.

Ich, Kohelet, war in Jerusalem König über Israel

Es gibt viele Worte, die nur den Windhauch vermehren. Was nützt das dem Menschen? [Koh 6,11]

„Was ist der Sinn des Lebens?“, fragt mich Justyna, und ich sage: es gibt kein Glück, es sei denn, der Mensch findet Freude an seinem Tun.
Freude finde ich, wenn ich etwas schönes erschaffen kann. Einen schönen, einen guten Text zum Beispiel, selbst wenn die Geschichte oder der Anlaß traurig ist.
Nur manchmal erscheint mir alles so sinnlos, so wertlos, daß ich keine Kraft finde, etwas aufzuschreiben.

cool blonde

Meine Schwester trägt einen Trenchcoat, ganz die Reporterin. Sie bindet sich den Gürtel enger um ihre Taille, die ich mit zwei Händen umfassen könnte. Ingrid Bergmann, Lauren Bacall. Das Land ist trist und flach. Die Braunkohle lohnt nicht mehr und hat die Arbeiter arbeitslos gemacht. Wir fahren lange durch die dunklen Dörfer auf der Suche nach einer Gaststätte und finden endlich eine Pizzeria.
Dann passieren seltsame Dinge. Ich erzähle, und meine Schwester hört mir zu. In meinem Gepäck der Satz bitte keine Ratschläge, aber es kommen gar keine. Nur Wärme, Verständnis, Unterstützung. Ich kotze mir das schwarze, klebrige Zeugs von der Seele; all meine beruflichen Sorgen, über die ich noch nichtmal hier schreiben kann.
Meine Schwester, müde, ausgebrannt, nickt wissend mit dem Kopf. She’s been there, too. So unterschiedlich sind wir gar nicht. Was ich jedoch in ihren Nebensätzen spüre, in ihrem Blick auf die Welt, das ist ihr Temperament, weitaus lodernder als meines, das ihr manchmal, einem wilden Pferde gleich, durchgeht. (Ich bin eher ein Esel.)
Nach unserem Gespräch fühle ich mich erleichtert wie schon lange nicht mehr. In der Nacht zuvor hatte ich geträumt, mein Vater sei gestorben und sein Sarg sei hochkant ins Grab hinuntergelassen worden. Ich stand entsetzt & heulend davor und protestierte, daß das so nicht richtig sei.
Wenn wir uns bemühen, meine Schwester und ich, dann werden wir einander haben, auch wenn unsere Eltern nicht mehr da sind.

Ehrfurcht.

Regionalzug, Provinz, abends. Zwei Herren um die Fünfzig setzten sich zu mir ins Abteil („ist hier noch frei?“, „aber sicher!“). Beide tragen Flanellhemden, derbe Schuhe, Allwetterjacken – Wanderer vielleicht. Es riecht nach Schweiß. Den ersten Versuch nach Smalltalk würge ich ab („was für ein modernder Zug! Sonst fährt hier immer ein ganz alter.“ „Aha.“), lese meine Zeitung, setzte dann Kopfhörer auf. Der Jüngere der beiden ist ein wenig schrullig. Er bewegt sich ruckartig, starrt auf die blinkende Anzeige des Discmans, bohrt in der Nase und dann isst er auch noch den Popel. Ich fühle mich unwohl, blicke aus dem Fenster, draußen ist es dunkel und ich sehe nur die Reflektion des Mannes in der Scheibe. Er sieht nicht, daß ich ihn sehe, wippt hin und her, liest nichts, schläft nicht, tut nicht, was normale Reisende so tun. Nach einer halben Stunde begreife ich endlich: der Mann ist geistig behindert. Sofort kann ich mich entspannen und bin auf einmal ganz fröhlich. In einer Vietelstunde werde ich aussteigen, also nehme ich die Kopfhörer ab und fange doch noch eine Unterhaltung an („Sie fahren auch nach xxxdorf?“). Ich erfahre, woher die beiden kommen, was sie heute unternommen haben, und erzähle ein wenig von meinem Beruf. Der Ältere las ein christlich angehauchtes Magazin und ich punkte bei ihm mit einem Bibelzitat („es gibt kein Glück, es sei denn, der Mensch findet Freude an seinem Tun“). „Ich arbeite im Wald“, sagt der Mann, den ich für seltsam hielt, und der andere sagt: „ja, wir sorgen dafür, daß die Bäume gerade wachsen, damit man daraus Balken und Bretter machen kann.“
Wir kommen an, und ich verlasse die beiden mit einem seltsamen Gefühl. Könnte sowas wie Ehrfurcht sein.

das wird… interessant

Bin ein paar Tage weg, beruflich. Untergebracht in Deutschlands schlechtestem Hotel, zwei Sterne, DDR- Altlastplattenbau. Schon besorgt Berichte im Internet gelesen von „meist ausländischen Diebesbanden, die aufgrund der Nähe zum Bahnhof in diesem Hotel Unwesen treiben.“
Gehe jetzt los und kaufe mir einen Brustbeutel stecks mir in den Büstenhalter einen Bauchgürtel.