übermorgen ist alles anders

Das wir aus ihm & mir hat keine Perspektive. Um mich zu versöhnen, schreibt er:
„ich würde mich über alle Maßen freuen, wenn Du Deinen Traumprinzen triffst“.
Ach, denke ich, ein Prinz muß es nicht sein.
„Wann sehen wir uns wieder?“, frage ich, „vielleicht im Oktober?“.
„Du setzt mich unter Druck“, sagt er.
Ich seufze leise. Aber verstehen kann ich ihn schon.

Komplimente

Nackte, ineinander verschlungene Körper.

Frau Fragmente (ekstatisch): „du bist so ein Tier!“

Mann (hält inne): „was denn für ein Tier? Ein Goldhamster etwa?“

Scheint, als wäre ich nicht die einzige, die an ihrem Selbstbewußtsein arbeiten muß…

schön geworden

Dieses Mal hatte ich weniger Angst, daß ich ihm nicht gefallen könnte, dieses Mal hatte ich Angst davor, daß er mir nicht gefällt. Ob es doch nur der Zauber einer Nacht war, die Illusion eines Chatprogramms? Das erotische Empfinden einer Frau ist fragil wie ein deutscher Sommer, der Flügelschlag eines Schmetterlings, die falschen Schuhe, ein falsches Wort, dahin.
Abends ist der Bahnhof noch immer belebt, ich stehe neben einer Gruppe von Weltjugendtagsjüngern und bin ziemlich sauer und ein wenig nervös. Ich hasse den schäbigen, dreckigen Bahnhof, ich hasse das Warten. Dann sehe ich ihn, daumennagelgroß, am Ende des Gebäudes, in eine falsche Richtung gehend. Ich laufe ihm entgegen, bin ganz gerührt von diesem Moment des Wiedererkennens und daß ich sofort gewußt habe: das ist er. Er nimmt mich in die Arme, sein Bauch ist weich und warm und fühlt sich klasse an, er riecht fantastisch und alles ist gut.

Ich bin überrascht, wie gut wir miteinander harmonieren. Wie gut wir nebeneinander, miteinander schlafen können. Wie angenehm ich ihn empfinde, wie leicht es fällt, es ihm recht zu machen, und daß er es zu schätzen weiß. Wir frühstücken auf dem sonnendurchfluteten Balkon; gehen wieder ins Bett und dann in die Stadt, Hand in Hand. Am Schönsten ist es, als wir zusammen in einen großen Buchladen gehen, die Regale durchstöbern, einen Kaffee trinken und einander die Beute zeigen.
Ich mag seinen Körper, seine Wärme, wie er mir unermüdlich über den Rücken streicht und später seine Finger tief in mein weiches Fleisch gräbt.

Die Zeit ist abgelaufen. Ich bringe ihn zum Gleis und weiß, ich muß gehen, ohne mich umzudrehen. Ich hasse den Bahnhof. Das Bett wird noch ein paar Tage nach ihm riechen.

Ich ziehe mir den Mantel meines Alltags wieder an. Bin gelassener geworden, entspannter. Und um eine Erkenntnis reicher: daß es möglich ist, daß es Platz gibt in meinem Leben für jemand anderen, und daß dieser Platz einzunehmen ist ohne Mühe.
Ein kleiner Kater bleibt. der schrieb:

Equilibriumstheorie wieder bestätigt: die Menge an verfügbarem Wohlbefinden über eine gewisse Zeit ist konstant, Vorauszahlungen werden über Unwohlsein beglichen.

Aber aufzupassen, daß es mir nicht zu gut geht, darauf habe ich nun wirklich keine Lust.

(ohne Titel)

Gestern, mit drei schweren Tüten aus dem Supermarkt bepackt, müde, ausgebrannt, wie ein Toastbrot im Regen, grauer Tag, graue Stadt. So stand ich vor dem Briefkasten, der an 25 von 30 Tagen leer ist und ansonsten Rechnungen enthält. Gestern aber: ein Brief von Justyna. Drei Seiten, handbeschrieben in purpurfarbener Tinte, und ich, gerührt. Daß sie an mich denkt, mehr als nur einen Moment, sich die Mühe macht, sich die Zeit nimmt. Was für ein Geschenk.

sonntags

Mobiltelefon klingelt. Freundin aus Berlin.

Freundin (klassische Mobilfunk-Frage): wo bist du?

Frau Fragmente: ich bin auf dem Friedhof.

Freundin: oh..äh..wann kann ich dich denn mal auf dem Festnetz anrufen?

Frau Fragmente: ich hab‘ noch kein Telefon und eigentlich will ich auch keines. Aber du kannst mich in einer Stunde im Labor anrufen.

Freundin: aber in einer Stunde ist es 9 Uhr abends! Oder liegt das Ruhrgebiet in einer anderen Zeitzone?

Frau Fragmente: ich muß noch ein bisschen arbeiten.

Freundin: sag mal, wie geht’s dir denn?

Frau Fragmente: naja. Es ist Sonntag, ich bin auf dem Friedhof und gehe gleich arbeiten.

Freundin: okay. Naja. Dann bis später.

Frau Fragmente: bis dann!

Nebenan

Am Sonntag klingelt es an meiner Tür. Ich blicke durch den Spion: direkt vor meiner Wohnungstür steht ein älterer, bierbäuchiger Herr. Ich öffne. Es ist mein neuer Nachbar, für den ich die neue Nachbarin bin. Er wolle sich mal vorstellen, sagt Herr Meghar, er sei aus Algerien, er und seine Frau Gisela leben schon 13 Jahre in diesem Haus. „Komme Sie rüber, komme Sie rüber“; er unterstreicht seine Worte mit einer Handbewegung, sein Deutsch ist nicht gebrochen, sondern an den Kanten schon ganz weichgeschliffen. Es wäre gerade ungünstig, sage ich, im „Freizeitdreß“, die Beine unrasiert, habe ich mir heute überhaupt die Zähne geputzt? Ich komme morgen, verspreche ich.
Am nächsten Morgen begegne ich Herrn Meghar im Treppenhaus; ich bin auf dem Weg zur Arbeit, er holt gerade die Bildzeitung hoch. Ich verspreche nochmal, heute abend vorbeizuschauen, „auf ein Schwätzchen“, gegen sieben. Dann wird mir ein wenig mulmig, aber: es gibt kein Zurück. Im Seitenflügel in Berlin, vier Parteien, traf ich einmal meine Nachbarin, ich grüßte, sie grüßte nicht zurück. Solche Nachbarschaft bin ich gewöhnt. Und jetzt habe ich mit meinen soziophoben Tendenzen eine Einladung zu Familie Meghar.
Es ist sieben, ich gehe rüber. Herr Meghar macht mir einen Tee, schwarz, bitter, mit Pfefferminze, er zeigt mir das Bündel getrockneter Pfefferminze, das er aus Algerien mitgebracht hat, und läßt mich daran riechen. Gisela, übergewichtig, sitzt auf der ausgeblichenen Couch vor dem Fernseher und wirkt etwas depressiv. Sie hat, wie so viele Frauen in ihrem Alter, kurzes, lichtes Haar, das sie sich gerade in „aubergine“ färbt. Beide sind in der Rente; sie hat bei Spar an der Kasse gearbeitet. Man stelle sich immer vor, erzählt Gisela, das Rentnerleben sei so schön, endlich habe man Zeit, aber dann stellt man fest, man hat kein Geld. Ein Auto können sie sich nicht mehr leisten. Ihre Wohnung ist genauso groß wie meine, stelle ich fest, zwei Zimmer, 50 qm, Balkon. Ich fühle mich nicht mehr arm, so wie ich mich gestern fühlte, als ich Ausschau nach einem neuen Sofa hielt und feststellte, daß ich mir keines leisten kann. Die Aussätzige bei Möbel Hübner.
Wie die beiden sich kennengelernt haben, will ich wissen. Gisela ist verwitwet, ob Herr Meghar geschieden oder auch verwitwet ist, bleibt unklar, jedenfalls wohnten sie in der gleichen Straße, und da sind sie sich eben begegnet. Zwanzig Jahre ist das her.
Ob sie manchmal nach Algerien fahren? Ja, zweimal im Jahr, im November und im Februar, da sei es in Algerien schön warm, 20 bis 25°C, nachts aber sehr kalt, Wüste eben, baden könne man nicht, aber besser als der deutsche Winter.
Ein Licht im Rentnerleben, so schlecht scheint es mir nicht zu sein, zwischen Schrankwand in schwarzem Lack und aufgereihten Kuscheltieren auf der Sofalehne. Ich spüre eine Zärtlichkeit für diese beiden Leute, und ich habe keine Angst mehr. Vielleicht finde auch ich einen Herrn Meghar, mit dem sich auf die eine oder andere Art zusammenleben läßt, in zwei Zimmern mit Balkon, und einmal im Jahr ab in den Süden. Wie alt ich sei, fragt Herr Meghar, und schätzt: 25? Es klingt, als hätte ich mein ganzes Leben noch vor mir.

zu viel

Kleine Maden, wie man sie manchmal in Mehl oder Nüssen findet, wandern über meine Nase und tauchen in meinen Poren ein. Aha, denke ich, deshalb juckt es mich so, deshalb bin ich so müde und geschwächt. Ich gehe zu einer Hautärztin. Die Ärztin verliebt sich in mich, wir gehen aus, unternehmen das eine oder andere miteinander. Als ich sie frage, wann sie die Maden entfernt, wird sie ungehalten und verweist auf zwei Männer mit Warzen im Wartezimmer, die zuerst behandelt werden müssen. Na dann nicht, sage ich, und gehe.

Auch im Wachen ist mir bewußt, daß mein Körper einen Tribut bezahlt. Die Kopfhaut juckt, das Ohr ist entzündet, ich muß niesen und manchmal auch astmatisch husten, eine Hautstelle ist gerötet und mein Gesicht scheint etwas angeschwollen zu sein. „Es wird mir alles zuviel“, sagte ich letzte Woche zu mir, im Auto sitzend, Stillstand – wenigstens eine Minute lang. Vielleicht kann ich einfach nicht weiterfahren, aber dann geht es doch weiter, was bleibt mir auch übrig.

Ich schäme mich ein bisschen; ich wäre gerne stärker; ich würde das alles gerne mit links machen. Aber so ist es eben nicht. Ich spüre meine Belastungsgrenze, ich spüre, wenn ich darüber hinaus agieren muß. Aber ich tu’s, ich bleibe handlungsfähig, ich meistere meine Aufgaben, und mein Körper zahlt den Tribut. Besser, die Belastungsgrenze zu spüren, als gar nichts mehr.

ohne Moleskine

Ich schreibe nicht über berufliches, obwohl es da viel zu erzählen gäbe. Aber es gehört nicht hierhin. Ich schreibe nicht über berufliches. Zur Zeit lebe ich nur für meinen Beruf. Also kann ich nichts schreiben.
Manchmal kann ich auch einfach nichts aufschreiben. Ein Moleskine wäre gut.
Süßer, ich denke an Dich, mehr als Du weißt.