Zuerst ziehe ich die Schuhe aus

Zuerst ziehe ich die Schuhe aus und laufe zum Meer hin. Der Sand ist angenehm warm, sehr weich, ich rutsche immer ein bisschen weg und laufe torkelnd, bis ich in Wassernähe komme, zu dieser perfekten, ebenen Fläche, die die Wellen geschaffen haben. Ich erlaube einer flachen, kleinen Welle, über meinen Fuß zu spülen, das Wasser kommt mir sehr kalt vor, wie die Götterspeise, die ich manchmal aus dem Kühlschrank nehme.

Die Weite ist überraschend, der Strand erscheint endlos, ich laufe ohne Zeitgefühl, sehe Muscheln und Steine, beobachte Algen, höre den Wellen zu, wuschusch, wuschusch. Ich traue mich jetzt schon bis zu den Knien ins Wasser, die Hose hochgekrempelt.
Hundestrand, Nacktbadestrand, sagt mir das Schild, und ich sehe Hunde und Nackte. An einem Montag außerhalb der Schulferien ist der Strand fast leer, hier sind hauptsächlich Rentner und Rentnerinnen, manche mit nahtloser, tiefer Bräune, die die Haut ledrig erscheinen läßt. Ich bin verwundert ob der großen Vielfalt von Schwänzen in Besonderen und Leibern im Allgemeinen. Älteren Frauen fallen die Schamhaare aus, stelle ich fest. Dennoch bin ich neidisch auf diese Frauen, die mit solcher Gelassenheit ihre Käselaiben ähnelnden Körper zeigen. Ich suche mir eine ruhige Stelle, bin ergriffen von einer risikogefärbten Hochstimmung. Ich bin die Seiltänzerin in der Zirkuskuppel.
Ich ziehe mich aus. Ich bin Ende zwanzig, meine Brüste sind prall, meine Schamhaare dunkel gelockt, ich habe komische rote Streifen auf dem Bauch, das haben andere Frauen nicht. Was solls. Zielstrebig laufe ich ins Meer, ich werde erst langsamer, als mir das Wasser bis zur Mitte der Oberschenkel geht. Kaltes Wasser an den sensiblen Zonen, ich bleibe stehen, die Wellen rauschen bedrohlich bis fast an mein Delta.
Es gibt kein zurück. Ich verteile Meerwasser auf meinen Armen und auf meinem Oberkörper, dann werfe ich mich nach vorne und schwimme.

Ich schwimme! Ich bin sehr aufgeregt, ich schwimme, als ginge es um mein Leben, ich habe Angst, mit meinen Füßen nach Grund zu tasten, denn was täte ich, wenn da keiner ist? Dann wage ich es doch, und er ist noch da, der Boden, der feste Sand in Wellenform gepresst, das Wasser geht mir bis zum Hals. Dann schwimme ich weiter, ich merke, daß mein Atem stoßweise und keuchend geht, ich bin völlig außer mir und kann gar nicht verstehen, warum. Aber das ist jetzt auch nicht weiter wichtig, denn ich schwimme, ich schwimme weit hinaus und lasse die Wellenbrecher hinter mir, jetzt gibt es keinen Grund mehr, dennoch werde ich ruhiger und freue mich über dieses intensive Gefühl auf der Haut, und erst jetzt, nachdem ich schon lange geschwommen bin, merke ich, daß die Hautfalten zwischen meinen Beinen Platz machen für das kühle Wasser, so wohlverschlossen ist es da.
Ich werde langsam müde, noch immer paddle ich recht hektisch, und ich bin ziemlich weit draußen. Ich versuche die Rückenlage und bin verblüfft: das Meer trägt mich.

usedom2

BellyButtonBabe

Gestern ein seltsames BellyButtonBabe gesehen.
Gekleidet war sie in Hüftjeans und dem für BBB typischen weißen Gürtel; dazu ein tank top mit einem coolen 70er Jahre Muster.

Aber dazwischen, auf der gebräunten Haut in Bauchnabelhöhe, da hatte sie eine Narbe. Nicht wie meine Blinddarmnarbe, dieser feine Strich, den man nicht fühlt, nur sieht, wenn man genau hinschaut, nein. Ein tiefer Canyon im Fleisch, ganz weiß, lang und ungleichmäßig, schräg von oben nach unten, bis sie von der Gürtelschnalle verdeckt wird.

Was da wohl war? Uterus, Blase, ein Unfall?

Ich muß mir merken, dachte ich, daß nicht einmal die BellyButtonBabes vor Narben gefeit sind. Auch wenn es keine innerlichen sind.

happy baby

She said whipping me made her feel bad about herself. She wanted to be abused. But I wanted the same thing.

„I’m starting to hate you,“ Maria said. „I want you to hit me, and you want me to hit you. This is terrible.“

Buchauszug von Stephen Elliott, zu finden hier.

Über Just One Bite habe ich vor einem halben Jahr eine Kurzgeschichte von ihm gelesen, my girlfriend comes to the city and beats me up. Es kommt mir sehr unzureichend vor, zu sagen, in seiner Kurzgeschichte ginge es um S&M. Es geht um Gewalttätigkeit, um gewünschte Gewalttätigkeit, wenn man so will. Ich kann damit nicht viel anfangen, aber viel anfangen kann ich mit authentisch erzählten Geschichten, und alle seine sind es. Wenn ich ihn richtig verstehe, dann profitiert er nicht in erster Linie von der Gewalt oder den Schmerz, sondern von dem Gehaltenwerden, von dem Trost und der Nähe, die ihm die dominante Person danach zukommen läßt. Die Nähe, die er außerhalb dieses Kontextes der Gewalt nicht zulassen oder fühlen kann. Aber was weiß ich schon. Im Gegensatz zu mir versteht es Stephen Elliott, nicht nach enfachen Erklärungen zu suchen. Das macht ihn so lesenswert.

Was mir jedoch auffällt, ist, daß letztenlich alle Menschen nach Nähe zu streben scheinen. Nur die Wege, auf denen sie dies erreichen, sind doch recht unterschiedlich.

[Stephen Elliott bloggt: hier.]

stripped

Über Stephen Elliott auf ein Blog einer Kellnerin gestoßen, die in einem Strip Club arbeitet (und wahrscheinlich fünfmal mehr verdient als ich). Zufälligerweise liegt dieser Strip Club in unmittelbarer Nähe zum Veranstaltungsort des Parteitags der Republikaner in New York. Und jetzt zählen Sie bitte 1+1 zusammen.

Überhaupt, Strip Clubs. Die unterliegen ja, wenn ich das richtig verstanden habe, sehr strengen Regeln. Die Männer dürfen die Frauen nicht anfassen, sie dürfen sich selbst nicht anfassen und sie dürfen sich nicht ausziehen. Gut für die Frauen, sicherlich, aber wenn man sich schon sexuellen Entgleisungen hingibt, wieso dann nicht richtig?

Wenn schon Sex ohne Liebe, dann wenigstens richtig dreckigen Sex. So würde ich das zumindest machen.

Regengedanken

Hinaus gegangen in den Regen, in den Wolkenbruch. Die Regentropfen bestaunt, die nach dem Auftreffen auf den Asphalt 20 oder 30 cm in die Höhe springen. Die Straßen sind leergefegt, ein Liebespaar hin und wieder, immun gegen den Regen.
Das Wasser drückt die Gullideckel hoch, ein Polizeiwagen mit Blaulicht sperrt die Straße ab. Meine Hosenbeine werden naß.

Die Menschen sind gefangen im Ringcenter Frankfurter Allee, sammeln sich an den Ausgängen und starren in den Regen, es muß doch irgendwann besser werden.
An der Schönhauser Allee gibt es auch so ein Center, in Schöneweide ebenfalls, überall in Deutschland; sie sehen alle gleich aus, beherbergen die gleichen Geschäfte.
Meine Besorgung habe ich erledigt, ich kremple mir die Hosenbeine hoch, spanne den Schirm auf und lasse diese künstliche Welt hinter mir.

Ich denke an Chidher, Friedrich Rückert. Chidher, der ewig junge, bereist alle fünhundert Jahre die gleiche Stelle. Einmal findet er dort eine Stadt, dann eine Schafweide, dann ein Meer, und auf die Frage, wie lange dies hier schon stände, bekommt er jedes Mal die gleiche Antwort: immer.

Und es freut mich zu sehen, zu spüren, daß nichts für immer ist, an diesen Regentagen, die die Stadt aus dem Gleichgewicht bringen und einen Hauch von Apokalypse verspüren lassen.Hier, an dieser Stelle, wird zu einer anderen Zeit ein Wald sein, oder eine Wüste, oder ein Meer.

Bernd Begemann

begemann

unsere Liebe ist ein Aufstand
12 Songs, 6 über Liebesglück, 6 über Liebesleid, der Bruch genau in der Mitte.

Der 6. Song, der Wendepunkt.

wir träumen von Liebe
wenn wir sagen
dass wir uns lieben
in deinen Armen bin ich beinahe da

Vor einiger Zeit habe ich beim Aufräumen alte Liebesbriefe gefunden, von meinem vorletzten Freund, 1999, eMails ausgedruckt auf Endlospapier, die Druckerschwärze schon ausgeblichen. Da standen so Sachen wie, ich wäre die wundervollste Person auf der ganzen Welt, ich würde ihn so glücklich machen, er würde sich so gut fühlen, wenn er mit mir zusammen wäre, und auch, er liebe mich.
In Wirklichkeit hatte niemand irgendjemand geliebt, aber wir wollten es so gerne, beide, da müssen wir es uns wohl eingeredet haben. Es sollte der Todesstoß sein, dieses Gefühl der Frustration, wenn die Liebe in Sichtweite ist und doch unerreichbar bleibt.

Bernd Begemann muß einen Drahtseilakt vollführen zwischen der glasklaren Beschreibung deutscher Lebenswirklichkeit einerseits und dem Abgrund des Schlagers andererseits. Auf seinem neuen Album gelingt es ihm fast immer.

Dies ist keine Unterhaltungsmusik.