im Kontext

Zu meinem letzter Beitrag möchte ich gerne den Kontext hinzufügen:

leogrande will geschichten, die einen anfang und ein ende haben. die frau von den schiffsmeldungen wartet auf pointen. ich will und tue das nicht mehr. erwartungshaltungen sind per se grundfalsch. bin wie immer meine zeit voraus. in zwei jahren rennen alle mit meiner achnaja-haltung rum.“
Rounders, 20.11.2002

Mich bedrückt dieses blöde Gefühl, daß ich jetzt sofort etwas leisten müsste. Ein Haus bauen, einen Lebenspartner finden, ein Kind kriegen, zumindest jedoch eine bahnbrechende wissenschaftliche Entdeckung machen. Vielleicht hängt das mit dem überzogenen Blick auf die Altersgenossen zusammen, die anscheinend alle eine Familie oder ein Haus haben, und wenn nicht, dann spielen sie in Pornos mit oder bereisen die Anden. Zumindest haben sie zwei oder drei wissenschaftliche Artikel veröffentlicht, gerne auch einen letter to nature.
Und natürlich muß das alles Sinn machen, muß die Geschichte, die mein Leben ist, einen Anfang, ein Ende und eine Pointe haben.

Wäre vielleicht ’ne gute Idee, sich von den Erwartungshaltungen zu befreien, die in der Regel noch nicht mal die eigenen sind. Wenn Sie rausgefunden haben, wie, sagen Sie mir Bescheid.

Maschinenöl

Soll ich wirklich? Ich könnte auch noch einen Brief schreiben, den Abwasch machen oder fernsehen. Na ja, denke ich, jetzt hast du es dir schon vorgenommen. Ich bin eine Frau, die Pläne macht und sie dann gewissenhaft Punkt für Punkt abarbeitet. Die private to-do-Liste. Und heute im Auto, auf der Heimfahrt von der Arbeit, da dachte ich: ich sollte mal wieder. Nicht wieder so husch husch, sondern langsam und mit Genuß.
Also ziehe ich mich aus, laufe in der dunklen Wohnung herum, stelle den Wecker, suche das Öl. Dann verreibe ich das nach Mandel und Vanille riechende Öl auf meinen Brüsten und auf meinem Bauch. Es passiert nicht viel. Ich stelle mir vor, daß es die Hand eines Mannes ist. Die Massage des Bauches tut gut, aber es ist nichts erotisches dabei, nur eine Frau, die ihren Bauch massiert. Die Hand auf der Brust löst immerhin einen Reiz aus, mechanisch, ohne Bedeutung. Maschinenöl.
Die Hand wandert zu dem Fell zwischen meinen Beinen, die Gedanken wandern ab. Ich denke über die Vor- und Nachteile von Intimrasur nach. Ich mag das Fell, den Pelz. Wieder versuche ich, an einen Mann zu denken. Wie in einer Diashow lasse ich die imaginären Liebhaber an mir vorbeiziehen. Ich denke über meine Arbeit nach, über mein gegenwärtiges Projekt, an welchem Tag ich welche Experimente durchführe und wie sie sich am effektivsten zeitlich staffeln lassen. Ich ärgere mich, daß ich an meine Arbeit denke. Ich lege mich auf die Seite, vielleicht lasse ich es bleiben.
Die Nachbarn sind schon wieder so laut, ich höre Techno-Beats.
Ich denke an einen Schwerverbrecher, einen Mörder, aus dem Gefängnis entkommen, schweigsam, muskelbepackt, undurchsichtig. Ich mag nicht an den Teufel denken.
Ich denke an den Mörder, der dachte, er müsse sein ganze Leben lang im Knast bleiben und würde nie wieder Sonnenlicht sehen. Da ließ er sich die Augen operieren, illegal, Knastgeschäft, damit er im Dunkeln sehen kann. Damit er sehen kann, wer sich im Dunkeln anschleicht. Ich stelle mir vor, bei ihm zu liegen, es ist ein Deal, ein Versprechen, meine Gegenleistung. Er bietet mir an, zu gehen; ich bleibe. Seine Begierde ist aufrichtig. Ich sehe seine Verletzlichkeit, sie spiegelt die meine, sie schafft eine Verbindung zwischen ihm und mir.
Ich denke an das Wiedersehen mit einem langjährigen Partner, die Trennung war lang, wir wissen genau, was dem anderen gefällt. Unsere Körper sollen den Bund zwischen uns bekräftigen. Du gehörst mir, sagt er zu mir.

Ich bringe fertig, was ich angefangen habe. Es ist in Ordnung, es ist nicht schlecht. Es ist wie ein köperlicher Reflex, ohne Bedeutung. Eine Konzentrationsübung.

So viel Aufwand. So viel Arbeit. Aber ich habe Angst, daß ich die Fähigkeit ganz verliere. Austrockne, einfriere.

das dritte Treffen mit dem Teufel

In der Nacht habe ich wieder vom Teufel geträumt, dieses Mal ganz anders. Ich befand mich in einer Mischung aus einem Kirchenschiff und einem Hörsaal, weder der Altar noch die Tafel waren sichtbar. Jedem wurde ein Sitznachbar zugeteilt, doch ich konnte meinen nicht finden. Als ich ihn fand, war der Platz zu seiner rechten schon besetzt. Also setzte ich mich irgendwo hin, doch die Entrüstung der Mitanwesenden war groß und wurde noch größer, als ich mich in den Sitzreihen verlief und meinen Platz nicht mehr ausmachen konnte.
Der Teufel, der die Szene betrat, wirkte ganz anders als das letzte Mal. Er trug einen Umhang aus Pelz, ähnlich einem Bärenfell, wie man es sich für einen russischen Zaren vorstellt. Sein Auftreten wirkte imposant und wie das eines Königs, sein Gefolge zeigte sich beeindruckt und ehrfürchtig.
Ich hatte Angst vor ihm, Respekt, fühlte mich angezogen und wußte doch gleichsam – ihm kannst du nicht vertrauen.
Er stelle mich als Geschichtenerzählerin an, ließ mich der Teufel wissen. Jedem war klar, was „Geschichtenerzählerin“ in Wirklichkeit bedeutet. Der Teufel trat auf mich zu und nahm mich in die Arme; es war eine gute, kräftige Umarmung; er war ein Stück größer als ich, gerade richtig, und der Bärenfellumhang hüllte uns ein.