Regengedanken

Hinaus gegangen in den Regen, in den Wolkenbruch. Die Regentropfen bestaunt, die nach dem Auftreffen auf den Asphalt 20 oder 30 cm in die Höhe springen. Die Straßen sind leergefegt, ein Liebespaar hin und wieder, immun gegen den Regen.
Das Wasser drückt die Gullideckel hoch, ein Polizeiwagen mit Blaulicht sperrt die Straße ab. Meine Hosenbeine werden naß.

Die Menschen sind gefangen im Ringcenter Frankfurter Allee, sammeln sich an den Ausgängen und starren in den Regen, es muß doch irgendwann besser werden.
An der Schönhauser Allee gibt es auch so ein Center, in Schöneweide ebenfalls, überall in Deutschland; sie sehen alle gleich aus, beherbergen die gleichen Geschäfte.
Meine Besorgung habe ich erledigt, ich kremple mir die Hosenbeine hoch, spanne den Schirm auf und lasse diese künstliche Welt hinter mir.

Ich denke an Chidher, Friedrich Rückert. Chidher, der ewig junge, bereist alle fünhundert Jahre die gleiche Stelle. Einmal findet er dort eine Stadt, dann eine Schafweide, dann ein Meer, und auf die Frage, wie lange dies hier schon stände, bekommt er jedes Mal die gleiche Antwort: immer.

Und es freut mich zu sehen, zu spüren, daß nichts für immer ist, an diesen Regentagen, die die Stadt aus dem Gleichgewicht bringen und einen Hauch von Apokalypse verspüren lassen.Hier, an dieser Stelle, wird zu einer anderen Zeit ein Wald sein, oder eine Wüste, oder ein Meer.

Bernd Begemann

begemann

unsere Liebe ist ein Aufstand
12 Songs, 6 über Liebesglück, 6 über Liebesleid, der Bruch genau in der Mitte.

Der 6. Song, der Wendepunkt.

wir träumen von Liebe
wenn wir sagen
dass wir uns lieben
in deinen Armen bin ich beinahe da

Vor einiger Zeit habe ich beim Aufräumen alte Liebesbriefe gefunden, von meinem vorletzten Freund, 1999, eMails ausgedruckt auf Endlospapier, die Druckerschwärze schon ausgeblichen. Da standen so Sachen wie, ich wäre die wundervollste Person auf der ganzen Welt, ich würde ihn so glücklich machen, er würde sich so gut fühlen, wenn er mit mir zusammen wäre, und auch, er liebe mich.
In Wirklichkeit hatte niemand irgendjemand geliebt, aber wir wollten es so gerne, beide, da müssen wir es uns wohl eingeredet haben. Es sollte der Todesstoß sein, dieses Gefühl der Frustration, wenn die Liebe in Sichtweite ist und doch unerreichbar bleibt.

Bernd Begemann muß einen Drahtseilakt vollführen zwischen der glasklaren Beschreibung deutscher Lebenswirklichkeit einerseits und dem Abgrund des Schlagers andererseits. Auf seinem neuen Album gelingt es ihm fast immer.

Dies ist keine Unterhaltungsmusik.

weiter machen.

„Machst du denn weiter“, fragt mich Justyna am Telefon. Es klingt, als fände sie es ganz okay, wenn nicht.

Es gäbe einiges zu sagen bezüglich des bashing. Schönes Wort übrigens, öffentliche Beschimpfung. Sinnlos, mich zu rechtfertigen, mich zu erklären. Kein Wort mehr.

Ich mache weiter. Ich ziehe mich hier aus, nackt, und wenn jemand mit dem Finger auf mich zeigt, dann schäme ich mich. Aber gerade weil ich das Innere nach Außen drehe, sehe ich mich, entdecke ich mich.

The Cure machten mal ein großartiges Album, sie nannten es Disintegration. Auch das ein schönes Wort, das ich mit dreizehn nicht so recht verstand. Heute vermute ich, daß es sich auf den Zerfall der Persönlichkeit bezieht.
Auf gewisse Weise ist Disintegration ein tröstliches Album in seiner Düsternis. Ich denke ein bisschen an Rußland, oder wie auch immer sich diese gewaltige Landmasse heutzutage nennt, Sowjetunion in meinem alten Diercke Weltatlas. Ein Staat, der zerfällt, der seine Menschen in die Verzweiflung stürzt, weil es keine Arbeit gibt in den gottverlassenen Lanstrichen, die seinerzeit zwangsbesiedelt wurden. Viele gehen, einige bleiben, und die, die bleiben, werden autark. Sie versuchen, alles, was sie zum Leben brauchen, selbst herzustellen, selbst anzubauen. Der Staat zerfällt, und einige wenige Menschen entdecken ihre Stärke. Die Persönlichkeit zerfällt, doch einige Aspekte entdecken ihre kindliche Schönheit.

Es wird immer Menschen geben, die scheiße finden, was ich mache. Lesen Sie hier einfach nicht.
Ich habe beim Aufräumen meine Abiturzeitung gefunden, mit einem Artikel eines Mitschülers, der mich disst. Er warf mir unter anderem Humorlosigkeit und Ironiefreiheit vor. Der Mitschüler und ich, wir hatten in der 11. oder 12. Klasse mal was laufen. In der ersten gemeinsamen Nacht hat er keinen hochbekommen, am nächsten Morgen wollte er nichts mehr von mir wissen. Ich dachte seinerzeit, es läge daran, daß ich nicht schön bin. Das ganze hat sich erst Jahre nach unserem Abitur aufgeklärt, halbwegs zumindest. Und als ich gestern diesen Text las in der Abizeitung, da war ich verwundert, daß er mich hat so sehr hassen müssen.
Er ist jetzt bei der FDP.

Ich mag diese Seite. Ich werde niemals schön sein oder schlank oder Humor besitzen oder Ironie. Ich versuche, meine Makel liebzuhaben. Es scheint mir der einzige Weg zu mehr Lebensqualität zu sein.

Ich mag es, etwas zu machen. Weiter, zum Beispiel.

kommentierte Links III

Zeit für eine kommentierte Linkliste.

Frau Engel hat neu angefangen, bleibt aber gewohnt tiefgründig.

Knut Budnase kann man schon mal an regnerischen Tagen von hinten bis vorne durchlesen. Interessant, wie er Hell-Friede losgeworden ist.

Brain farts habe ich auch von hinten bis vorne durchgelesen, vor allen wegen der Rettungsdienstgeschichten.

Dooce (via Anke Gröner), ein Weblog einer ehemaligen Mormonin, ist wundervoll von schwarzen Humor durchtränkt.

Gesprächsfetzen lese ich schon lange, aber Parka Lewis gegenwärtige Obsession mit Radioweckern verdient besondere Beachtung.

Bara, ein kleines, feines Weblog, das einem ans Herz wächst, bevor man es merkt.

Mit Sebas hatte ich mitgehofft. Dann hat er doch verloren. Eine weitere sad love story.

Auf diese vier Weblogs habe ich ein Auge und bin gespannt, wie sie sich entwickeln:

blick

Beichtblogg

Leben auf Hartz IV

Bloß zu Besuch

coming home

Coming home, gedreht im Jahre meiner Geburt. Eine Frau verliebt sich in einen Veteran des Vietnamkrieges, der aufgrund einer Kriegsverletzung querschnittsgelähmt ist, während ihr Ehemann an der Front kämpft. Oh, befürchte ich, der Rollstuhlfahrer ist ein Pazifist und wird Phrasen dreschen. Doch die traumatischen Kriegserlebnisse, der Ekel über das Töten und Morden und seine eigene Behinderung haben ihn zu einem bahnbrechendem und beeindruckendem Bekenntnis zur Humanität geführt, die sich auch in seinem Umgang mit der Frau zeigt. Es rührt mich, diese Zärtlichkeit, dieser Respekt, den er ihr entgegenbringt.

Sie lieben sich, körperlich. Er sagt ihr, wie sie die Kissen aufschütteln soll, für ihn als Rückenstütze, und ich fühle diesen Moment auf Messers Schneide, es ist alles nicht so einfach. Doch dann sieht man die beiden, die Frau sitzt auf ihm, sie bewegen sich langsam, seine Oberarme muskelbepackt vom vielen Rollstuhlfahren, seine Hände, wie sie die Frau liebkosen, als könne er es kaum glauben. Man sieht die Frau auf dem Rücken, ihn zwischen ihren Schenkeln, er bringt sie mit seiner Zunge zum Orgasmus, man bekommt den Eindruck, es ist das erste Mal für sie. Als wäre das keines der Dinge, die ihr Ehemann mit ihr tun würde.
Shh, sagt er, shh, und hält sie.

[Die Frau, so spuckte mir das Internet entgegen, war Jane Fonda. Ich hätte sie nicht erkannt. Sie hat für diese Szene auf ein body double bestanden. Fast ein schönes Wort, body double, wenn es nicht bedeuten würde, das es ihr peinlich war.]