28. November 2020

Größten Teil des Tages mit einer Grundreinigung des Wohnzimmers verbracht, also alles rausgeräumt, alles möglich abgestaubt oder mit Glasreiniger glasgereinigt, Staubsaugerroboter laufen lassen, Wohnzimmer und Küche gewischt, alles wieder reingeräumt. Zwei Ladungen Wäsche, Bett neu bezogen, Bad geputzt. Biomüll, gelber Sack, Badezimmermüll, Papiermüll (ein Korb, zwei Kartons) und Restmüll entsorgt. Den kleinen Biomüllbehälter in der Küche innen ausgewaschen. Spülmaschine etc. Eigentlich bin ich noch nicht fertig, müsste noch das Schlafzimmer saugen, aber lassen wir das. Zwei Ladungen Wäsche sind auch noch offen.

Ich schaffe alles, außer den Haushalt, der schafft mich. Dabei ist es ganz einfach: der Haushalt ist dann zu schaffen, wenn ich mir jeden Tag dafür Zeit nehme. Wenn ich entscheide, diese Zeit lieber meiner Erwerbstätigkeit zu schenken, oder mir selbst, als Burnout-Prävention, dann läuft es halt nicht.

Dort, wo meine Mutter mit meinem Vater gewohnt hat, gab es zwei Nachbarn: die Nachbarn nebenan, ein in jeweils zweiter Ehe verheiratetes Paar mit einer ganz schrecklichen, unangenehmen Frau, und das sehr nette Ehepaar gegenüber mit einer total freundlichen, angenehmen Frau. Eines Tages habe ich die nette Nachbarin gefragt, warum sie glaubt, dass der Nachbar mit dieser schrecklichen Frau verheiratet ist (die nette Nachbarin und die schreckliche Nachbarin kannten sich gut, daher die Frage). Und die nette Nachbarin sagte: „er braucht die Dienstleistung.“ Sie meinte putzen, waschen, einkaufen, kochen, die schreckliche Nachbarin war nämlich Hausfrau, ihr Mann beruflich ziemlich eingespannt.

Ich denke da noch manchmal dran, ist schon eine Weile her, und seufze, denn ich brauche die Dienstleistung auch. Meistens fällt mir dann sehr schnell wieder ein, warum das ein bisschen kompliziert ist, was ich schon alles probiert und was nicht geklappt hat, und dann seufze ich nochmal, und schrubbe die Spüle mit Edelstahlreiniger.

Minimalst-Weihnachtsdeko habe ich auch aufgebaut, also den Plastik-Adventskranz aus der Truhe geholt und die vier verbliebenen Kerzen aus dem 8er-Pack des Vorjahres reingesteckt. Paar Zweige in eine Vase gesteckt, Lichterkette drüber, gefällt mir aber nicht. Weihnachtspyramide aufgestellt, geerbt von meiner Tante. Dazu das Weihnachtsoratorium gehört, bisschen an Francine gedacht, das war sehr vergnüglich. Lasset das Zagen, verbannet die Klage, Stimmet voll Jauchzen und Fröhlichkeit an! heißt es da, dies dann auch getan.

Kontakttagebuch: Muttern, kurz, hat mir heute was vom Supermarkt mitgebracht, war aber.. nicht ganz das richtige.

27. November 2020

Guter Arbeitstag heute, ich war sehr aktiv, was nicht das gleiche ist wie kraftvoll sein, es war mehr so, als hätte ich leistungssteigernde Medikamente genommen, und meine innere Taktfrequenz sehr hoch. Ein idealer Tag, um viele kleinteilige Themen wegzuarbeiten, auch Ablage habe ich gemacht, das ist ja ein wichtiger Baustein des Erfolgs. Gerade kommt von der Organisation nicht besonders viel von außen herein, das liegt an den Veränderungen an der Führungsspitze, die zunächst einmal paralysierend wirken. Irgendwann platzt dann der Knoten und dann werden meine Kollegen und ich nur noch abstruse Anfragen von außen beantworten.

Jetzt ist aber eine gute Zeit für Innenorganisation. Im Oktober habe ich mich die ganze Zeit wie im September gefühlt, ich war mit dem Sommer noch nicht fertig, im November fühle ich mich, als wäre schon Dezember, das Jahr vorbei, die stillen Tage, alle im Weihnachtsurlaub, ein paar übriggebliebene und ich machen Ablage. Dabei sinds noch vier Wochen bis dahin.

In der Mittagspause auf dem Markt gewesen, ich mag das ganz gerne, komme aber viel zu selten dazu. Sehr gute Trauben gekauft, Eier, Tomaten, Lammfleisch aus der Region. Die Scheine ausgegeben wie Spielgeld – was es ja auch irgendwie ist.

Abends ganz kurz Frau Novemberregen gesehen, sie hat jetzt auch auf FFP2-Maske upgegraded. Noch einmal zum Geburtstag gratuliert, ein kleines Geschenk übergeben, und versucht, mir nicht zu viel Sorgen um sie zu machen. Ich glaube, es wäre ihr nicht recht.

Die neue Brille steht ihr sehr gut.

Kontakttagebuch: die üblichen Verdächtigen im Büro, alle mit Maske, Wochenmarkt, alle mit Maske. Ich spüre die Maske schon gar nicht mehr. Frau N., beide Maske, draußen.

26. November 2020

In den Diskussionen mit anderen und in meinen eigenen Überlegungen ist in den letzten Tagen häufiger jene Bemerkung eines Politikers, dessen Namen wir hier nicht erwähnen wollen, aufgepoppt. Das kommende Weihnachtsfest sei „das härteste Weihnachten jemals im Nachkriegsdeutschland.“

Im Gespräch mit meiner Mutter festgestellt, das härteste Weihnachten im Nachkriegsdeutschland sei wahrscheinlich 1945 gewesen, das zweithärteste 1946, das dritthärteste 1947, you get the drift. Meine Mutter meinte, über das Weihnachten 1945 hätte sie nicht so viel gehört, von denen, die dabei waren, aber Weihnachten 1946 und der Winter 1946/1947 muss wohl wirklich schlimm gewesen sein und hat als Hungerwinter sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag.

Meine Großmutter hat diese Zeit wohl noch einigermaßen gut überstanden, da sie vor ihrer Flucht alles Geld abheben konnte und sich und ihre Kinder über den Schwarzmarkt versorgt hat. Schwierig wurde es für sie nach der Währungsreform 1948, es gibt da so Geschichten, dass sie auf unter 50 kg abgemagert in der Morgendämmerung raus aus der Trümmerstadt aufs Land gefahren ist – ich weiß nicht wie? Per Bahn? Fahrrad? – um von den abgeernteten Feldern die Reste aufzuklauben: Ähren, Kartoffeln.

Wir machen uns gerne lustig über das Deutschland der 1950er und ihren Konsumfetisch: Fleisch und Butter und Kleider und kleine, weiß gestrichene Einfamilienhäuser; aber eigentlich verständlich nach einer Dekade von Hunger, Kälte, Angst und Wohnraummangel. Der Dokumentarfilm Kulenkampffs Schuhe hat sehr treffend, traurig und schön von diesem Konsum- und Spaßdeutschland erzählt, in dem sie alle nebeneinander lebten, die Holocaust-Überlebenden, die strammen Deutschen, die Kriegsflüchtlinge und die überzeugten Nazionalsozialisten, ohne jemals darüber zu sprechen, was sie erlebt haben in diesem davor. Vielleicht wird die Dokumentation mal wieder gezeigt, sie war sehr groß.

Der Satz des Politikers lautete übrigens „das härteste Weihnachten für die Nachkriegsgeneration“. Mein schlimmstes Weihnachten war mit ziemlichen Abstand 2014, das einzige, das mein Vater im Pflegeheim verbracht hat. Sechs Wochen später ist er gestorben. Ich habe in diesem Jahr nichts geschrieben, nur das, es war wohl alles kaum auszuhalten. Ich habe ihm zu seinem letzten Weihnachtsfest Socken geschenkt, meine ich, so richtig dicke, warme, sehr gute Qualität. Was am Ende noch bleibt.

Ich schäme mich, dass ich so dankbar bin, in diesen Zeiten keinen Angehörigen und niemand, den ich liebe, im Pflegeheim zu wissen. Vielleicht bin ich daher auch so vorsichtig geworden, wen ich liebe, auch wenn man es sich eigentlich nicht so richtig aussuchen kann. Im Büro ein bisschen geweint wegen diesem Artikel: eine Frau in der Lombardei steht auf dem Dach ihres Autos und blickt in das Fenster des Krankenhauses. Dort liegt ihre Mutter, die an COVID-19 erkrankt ist, und die sie nicht besuchen darf. Sie hofft, dass ihre Mutter einen Blick auf sie erhaschen kann, damit sie weiß: du bist nicht allein.

Meine weiteren schlimmen Weihnachtsfeste sind in ihrer Mittelmäßigkeit auf einem weit abgeschlagenen zweiten Platz: 2009 war nicht so toll, als ich kein Geld hatte und die Weihnachtsgeschenke nicht bezahlen konnte. Die frühen Nullerjahre waren eigentlich alle blöd, weil ich viel zu hohe Erwartungen an das Fest an sich, meine Eltern und vor allem mich selbst hatte, die dann alle abgrundtief enttäuscht wurden, und dass ich heute so ein gutes Verhältnis zu meiner Mutter habe, hätte ich vor zehn oder zwanzig Jahren auch nie gedacht.

Im Büro heute über die Firmenweihnachtsfeier 2019 gesprochen. Es ist seitdem beruflich bei mir so viel passiert, es fühlt sich an wie aus einem anderen Jahrzehnt, nicht unbedingt schlecht, aber es war ein sehr dichtes Jahr, dieses 2020.

Ich werde 2020 wie in den Vorjahren mit meiner Mutter feiern. Sie wird kochen (wir haben schon besprochen, was es gibt), dann werden wir einen Spaziergang machen, dann Geschenke auspacken. Sie kriegt von mir ein Produkt von der Technikfirma mit dem Obst, das ihren Sauerstoffgehalt kontrollieren und ein EKG anfertigen kann sowie über eine Notfallfunktion verfügt. Ein schnöder Versuch meinerseits, mit Geld ihre Lebensdauer zu verlängern. Den Rest des Heiligen Abends werde ich das Technikgadget dann für sie einrichten. Zwischendurch ein bisschen Videocall und WhatsApp mit meinen Freundinnen.

Es wird gut sein, und wie jedes Jahr werde ich ein bisschen erleichtert sein, wenn es vorbei ist.

Kontakttagebuch: Lunch im Konferenzraum mit einem Kollegen ohne Maske, aber mit Abstand, Besprechung ohne Maske aber mit Abstand, die üblichen Verdächtigen mit Maske, Beratung im Obstgeschäft mit Maske, Termin, Temperaturmessung und Desinfektion, Muttern.

25. November 2020

Bis halb acht im Büro heute. Nach einem solchen Tag kann ich meist nicht mehr sagen, was genau ich gemacht habe. Ich kann etwas über das Gefühl erzählen, wie eine gut geölte Maschine auf Hochtouren durch die Stunden gedüst zu sein. Mehr Mensch als Maschine, nicht Bestform, aber Hochform.

Gespräche, Gespräche, Gespräche, um dann eine Mail zu schreiben aus drei Sätzen, aber das sitzt, darin steht alles, der Ton ist genau richtig. Nachdenken, ventilieren, austauschen, und dann genau wissen, wie ein Problem zu lösen ist, mit zwei präzisen Griffen.

Es macht mir Freude gerade, auch wenn es nicht immer einfach ist, aber es ist so lebendig, die Farben so kräftig, und das, was ich tue, verändert etwas.

Kontakttagebuch: die üblichen Kollegen mit Maske, Biosupermarkt mit Maske und sehr strengen Kontrolleuren in der Mittagspause (haben die wohl oft Ärger mit Querdenkern und Querulanten), Muttern.

24. November 2020

Ziemlich sehr guter Tag. Wieder im Büro. Erstmal meinen Schreibtischstuhl vom Papierstapel befreit, das hatte mir meine Mitarbeiterin schon angekündigt. Zwei, drei Sachen weggearbeitet. Videokonferenz mit Legal, wir wollen zusammen einen sturen Bock in einem anderen Land überzeugen und haben unsere Strategie beraten. Unklar, ob der sture Bock die fachliche Grundlage einfach nicht versteht, oder ob es ein Machtspiel ist. Wahrscheinlich beides.

Den Rest des Tages nur in Gesprächen verbracht, beginnend mit einem langen Lunch mit der Geschäftsführung. Gehorcht, wo es drückt und knarzt, wo es flutscht und gelingt, was so passiert ist und wie die Zukunft aussieht. Zart begonnen, über das nächste Jahr nachzudenken.

Mal wieder verwundert gewesen, wie viel wirklich wichtiges in einem kurzen Halbsatz zum Ausdruck gebracht wird, und wieviel unwichtiges lang und breit wiederholt wird. Keine Kritik, denn ich denke, das passiert unbewusst, mir wahrscheinlich auch.

Würde manchmal gerne nicht so oft hören, dass mein Geschäftsführer nicht vor hat, hier bis zur Rente durchzuhalten.

Am späten Nachmittag noch ein langes Gespräch mit einem Mitarbeiter, den ich geerbt habe und mit dem es eher schwierig läuft. Oder anders: über den ich mir viele Gedanken mache, und mich frage, ob ich ihn richtig führe. Heute gemerkt, dass ich zumindest nicht so viel falsch mache. Die Leistung zieht an, die Identifikation mit den Aufgaben verbessert sich, und ich habe ein besseres Gefühl dafür, welche Aufgaben zu ihm passen. Auch über seine Fehler gesprochen, eine sehr reflektierte, respektvolle Antwort bekommen. Muss nur aufpassen, mich nicht einwickeln zu lassen.

Es wird spannend sein für mich, diesen Eintrag in ein paar Monaten zu lesen und zu sehen, was sich bewahrheitet hat und was nicht.

Über die nachtschwarze Autobahn nach Hause gefahren, ein bisschen zu schnell, die weißen Markierungen ein visuelles tschick tschick tschick. Das Auto mit Tempomat gesteuert, ein winziger Knopfdruck, und es beschleunigt hoch oder nimmt Geschwindigkeit raus.

Heute gelingt alles, ein schnelles Denken, konzentriert und mühelos. Die Möglichkeit eines Knalls wie ein leichter Geschmack im Mund, eine Idee nur, flüchtig, denn der Asphalt ist trocken und hat Grip.

Kontakttagebuch: Geschäftsführung (Konferenzraum mit Abstand ohne Maske), Mitarbeiter (Konferenzraum mit Abstand ohne Maske), Anleitung eines jungen Mitarbeiters mit Maske, paar Kollegen mit Maske, die Dame vom Thai-Restaurant beim Pickup mit Maske, Nachbar hat Paket vorbeigebracht ohne Maske aber draußen mit Abstand, Muttern.

23. November 2020

Am frühen Nachmittag hätte ich beinahe gebloggt. Ich hatte schon einen ersten Satz im Kopf, mir gerade einen Noitzblock für eine grobe Gliederung zurechtgelegt – ja, es wäre so ein Eintrag gewesen, der ein paar Notizen vorab erfordert hätte – aber dann war wieder irgend etwas, ein Anruf, eine Email, ein anderes Bedürfnis, und es war vorbei.

Es ist dann nicht weg, es schläft nur, das kleine Tier mit weichem Fell, blinkenden Augen und neugieriger Nase. Es hat sich zusammengerollt in einem Astloch. Draußen ist es dunkel geworden, der Tag ist vorbei.

Kontakttagebuch: Muttern.

22. November 2020

Heute musste ich gar nichts machen. Gar nix! Wunderschön. Sollte ich mir rot im Kalender markieren.

Ich hatte sogar überlegt, heute nicht zu bloggen. Aber ich tippe noch ein bisschen, habe ich Lust drauf, ich kann ja jederzeit aufhören.

Gestern ein schönes (kurzes) Buch gelesen, The Empress of Salt and Fortune: großartige Sprache, kluger Erzählstil, bindet wunderbar die Vorstellungskraft der Lesenden mit ein, und ist herzerwärmend und grausam zugleich. John Scalzi hat auch einmal was mit einer Emperox geschrieben, der erste Band heisst The Collapsing Empire, der letzte heisst The last Emperox – eine feine Serie, auch wenn sie zum Ende hin etwas schwächelt.

Noch anderthalb weitere Bücher weggesnackt, keine große Literatur, aber vergnüglich, mit meinen üblichen leichten Themen Aliens, Interspecies Romance, Enemies to lovers.

Mich zwischen Bett und Sessel hin- und herbewegt, gelegentlich einen Zwischenstopp in der Küche oder eine Pinkelpause, bisschen TikTok, Twitter, TV. Nichtmal einen BH habe ich heute angezogen.

Im Fernsehen bekommen die Querdenker zu viel Sendezeit, auch die AfD, finde ich. Jeden Tag wird über irgendeine Demo berichtet, das soll Meinungsvielfalt und unvoreingenommene Berichterstattung symbolisieren, glaube ich, aber es normalisiert eine marginale Gruppe und löst bei mir ein Unbehagen aus.

RTL2 macht sich große Sorgen um das deutsche Weihnachtsfest, und geht kritisch der Frage nach, ob es okay ist, dass Instagram-Influencer gerade Urlaub in Dubai machen. Al Jazeera macht sich große Sorgen um ökonomisch schwache Länder, die entscheiden müssen, ob ihre Einwohner an COVID-19 sterben oder aufgrund eines Lockdowns verarmen und verhungern.

Verdrängung ist, was uns über Wasser hält. Ich eile zurück zu meiner Alien Romance, denn da kann ich mir sicher sein: es gibt ein Happily Ever After.

Kontakttagebuch: absolut niemand! Herrlich.

21. November 2020

Meine Mutter wird nächste Woche in ihrer… hm, „best ager“- Gruppe einen Vortrag halten, und zwar mit Präsentation und per Zoom. Vorträge halten kann sie ziemlich gut, Folien für eine Präsentation erstellen auch einigermaßen. Mit Zoom klappt es pandemiebedingt ganz gut, sie hat mich viel gefragt zum Thema Beleuchtung, Weichzeichner, voreingestellte Hintergrundbilder. Aber das Teilen des Bildschirminhalts per Zoom ist ihr suspekt, deswegen hatte sie mich heute gebeten, das mit ihr zu üben.

Ich habe erst einmal die Präsentation glattgezogen, bis sie zu mir gesagt hat: das sehen die doch gar nicht, dass die Schriftart auf der Folie kleiner ist! Dann haben wir ein Test-Zoom gemacht, ich mit Handy in ihrer Küche, sie in ihrem Arbeitszimmer am Laptop. Es rumpelt an überraschenden Stellen, zum Beispiel wo man den Ton anmacht, andere Sachen funktionieren sehr gut, F5 für die Bildschirmpräsentation, ahja. Meine Mutter sagt dann gerne das muss ich mir aufschreiben, und macht Notizen auf so halb abgeschnittenen Papierresten, mich macht das wahnsinnig, aber ich finde es auch irgendwie charmant, es gehört zu ihr, es begleitet mein Leben, kleinere von ihr beschriebene, mit der Schere zurechtgeschnittene Zettelchen irgendwo zu finden.

Meine Mutter ist eine solide Technik-Nutzerin, was ich in den letzten Jahren auch dadurch befördert hat, dass sie zu jeden Fest ein Endgerät geschenkt bekommen hat – natürlich immer mit Installation, Einführung, und kleiner Schulung von mir. Die Begeisterung ist unterschiedlich. Sie nutzt gerne und häufig ihr iPad, das Smartphone hingegen dient hauptsächlich als WhatsApp-Quelle und manchmal zum fotografieren. Der Laptop ist für sie eine glorifizierte Schreibmaschine, auch online-Banking findet darin irgendwie statt. Sie tut sich recht schwer damit, wo Sachen abgespeichert sind, welche Dateiformate es gibt, wie das mit Anhängen funktioniert und mit scannen. Ist das dann in meiner Email? ist so eine Standardfrage, ihre Vorstellung des Aufbewahrungsortes für Daten überrascht mich oft. Heute haben wir gemeinsam etwas in die Cloud hochgeladen, das war aufregend.

Ich hoffe, das liest sich jetzt nicht, als würde ich mich über sie lustig machen. Ich bin ziemlich stolz auf sie. Ich frage mich, was mir schwer fallen wird, wenn ich in ihrem Alter bin, welcher technologische Schritt mir trotz aller Bemühung fremd bleiben wird.

Ich hatte mit meinem Geburtsjahr ziemlich Glück, denn als ich zu jung für das Internet war, gab es noch keines, und als es dann da war, war ich gerade im Studium und hatte viel Zeit, die ich im Computerpool der Uni vertrödelt habe. Neulich, bei der Suche nach den Unterlagen der Rentenversicherung, habe ich einen Schein für Internetbrowsing auf dem Mac gefunden, von 1998 oder so. Auch irgendwie dankbar, dass ich nicht mehr jung und ausgehhungrig mitten in einer Pandemie bin, oder alt und pflegebedürftig. Und auch nicht mitten in einem Weltkrieg geboren, wie meine Mutter.

Ich schreibe eigentlich nicht so viel über meine Mutter. Es kommt mir non-consensual vor. Ich vermute, dass sie hier nicht mitliest, aber ganz sicher bin ich mir nicht – sie kann jedenfalls im Internet surfen. Es war nur so ein süßer Moment heute, ich wollte das gerne festhalten.

Für die Präsentation nächste Woche habe ich extra meine Home-Office-Rotation verlegt, damit ich ihr technischen Beistand leisten kann. Wünschen Sie uns Glück!

Kontakttagebuch: Muttern.

20. November 2020

Morgens mit Kopfschmerzen aufgewacht, das war nicht schön. Ich habe sehr selten Kopfschmerzen, das ist ein Glück, muss aber irgendwie im Schlaf zu viel geschnarcht oder nicht genug Luft bekommen haben. Jedenfalls den ganzen Tag gekränkelt, auch ein bisschen Übelkeit – ob das eine atypische Migräne ist? Oder einfach nur das Alter? So langsam sollte ich mich jetzt aber mal wirklich mehr um meine Gesundheit kümmern.

Zwei 400ter Ibu eingeworfen, mäßig vor mich hingearbeitet. Nachmittags ein halbes Stündchen auf der Couch gelegen, Konzentration war nicht so gut, und meinen Vater gechannelt. Eine meiner beständigsten Kindheitserinnerungen ist die von meinem Vater, wie er nachmittags auf den verschiedensten Sofas genüßlich ein Nickerchen hält, im Sommer gerne auch auf der Gartenliege unter dem blühenden Kirschbaum, und ein Hund zu seinen Füßen.

In der Mittagspause zum Metzger spaziert. Der Metzger schlachtet selber und ist über das Dorf hinaus sehr bekannt. Ich war noch nie dort, obwohl ich nun schon bald fünf Jahre hier wohne. Der Metzger schließt, wie das auf dem Dorf so üblich ist, um halb sieben, das ist für mich natürlich normalerweise viel zu früh. Von der Metzgerei selbst eher enttäuscht gewesen. Die Auswahl limitiert, die Qualität auf den ersten Blick gar nicht so überzeugend, und es gibt einen Mittagstisch, den ich gar nicht ansprechend fand. Andererseits wäre es ja auch viel tragischer gewesen, wenn es eine sensationelle Metzgerei gewesen wäre, in Laufweite von meinem Zuhause, und ich hätte fünf Jahre lang was verpasst.

Mit Francine telefoniert, das war sehr schön, und ihr von der Metzgerei erzählt. Francine hat mich – klarsichtig wie sie ist – darauf hingewiesen, dass ich bereits einige gute Metzgereierlebnisse hatte. Zum Beispiel hat mir neulich die Fleischereifachverkäuferin das Endstück eines Schinkens (vom Wollschwein, sauteuer) geschenkt. Es hatte sich im Gespräch ergeben, dass sie nicht verheiratet ist, worauf ich gesagt habe, dass ich auch nicht verheiratet bin und das ganz wunderbar finde. Zack – Schinken!

Kontakttagebuch: Metzgerei mit FFP2-Maske, Muttern.

19. November 2020

Heute mehrere Stunden in einer Online-Schulung gewesen, die als mandatory angekündigt war und qualitativ meine ohnehin schon äußerst geringen Erwartungen zutiefst enttäuscht hat. Mich aufgeregt, mich abgeregt, ein guter Mann (von mir eingestellt!) hat stellvertretend für uns alle seiner Wut Luft gemacht. In weiser Vorrausicht hatte ich mich auf dem Mobiltelefon in die Schulung eingeloggt, Kamera aus, und irgendwann wanderte das Telefon in die Hosentasche, Kopfhörer auf, und allerlei privates erledigt. Die Vorzüge des Home Office.

Erledigungsmäßig komme ich so langsam an den Grund, an den Bodensatz – in meinem Fall: Kontenklärung bei der Rentenversicherung. Ich war nämlich im Herbst 2018 persönlich dort, und nun, kaum zwei Jahre später, suche ich die notwendigen Dokumente für die Nachreichung zusammen.

Einen persönlichen Termin bei der Deutschen Rentenversicherung kann ich nur dringend empfehlen. Es ist ein Abtauchen in eine andere Realität, in Amtsflure und hellgraue Büromöbel, die mit bunten Bildern aus dem kostenlosen Apotheken-Kalender dekoriert sind. Davor die gerahmten Bilder der Familie, für die man das hier alles tut. Das klingt despektierlicher, als ich es meine: alles hat seine Ordnung, sein Formular, seinen Ablauf und seine Uhrzeit. Ich war fasziniert, abgestoßen und neidisch, alles auf einmal. Ich konnte mich fügen, ich konnte mich dem Prozess ergeben, und alles läuft in einer Geschwindigkeit wie eine Miniatureisenbahn für Kinder auf dem Weihnachtsmarkt.

Jedenfalls: der Deutschen Rentenversicherung fehlen Nachweise über meine Studienzeit. Beim Abtauchen in die Ordner ein Bild von mir gefunden, ganz klein, vielleicht für einen Ausweis gedacht. Ich im Laborkittel, die Haare rot, hinter mir die Tür zum Labor, darauf ein paar Warnaufkleber, nicht zu sehen, weggeschnitten, aber ich weiß, dass sie da sind. Ich sehe jung aus, ein offenes Lächeln, hellwach, und doch dunkle Ringe unter meinen Augen.

Meine Promotionsurkunde möchte die Deutsche Rentenversicherung auch, ich halte sie in der Hand und erinnere mich: irgendjemand hatte mir erzählt, dass die Dekanin, zu der ich ein okayes Verhältnis hatte, demnächst drei Wochen in den Urlaub fährt. Ich brauchte die Urkunde aber zeitnah, weiß nicht mehr warum, also bin ich hingegangen und habe sie freundlich danach gefragt. Kein Problem, hat sie gesagt, drucke ich dir schnell aus! Sprachs, legte ein Blatt in den Farbdrucker, und dann kam sie da raus, die Urkunde. Weil die Patrone fast leer war, ein bisschen fad, sollte ich also wirklich bald mal der Rentenversicherung vorlegen, ehe alles verblasst.

Ich habe das neulich in einer Coaching-Session erzählt. Es ging um Übergänge und rites de passage und was fehlt. Ich träume relativ häufig, ich hätte die Doktorarbeit nicht abgeschlossen. Manchmal ist es auch irgendein Mathe-Schein, der fehlt. Aber meistens muss ich noch einmal an die Bench, so wie ich das hier erzähle, fast zehn Jahre ist der Blogeintrag alt. Ich rechtfertige mich, ich erkläre, dass ich doch bereits einen Job habe, ich schäme mich, dass ich vergessen habe, die Promotion zu beenden.

Vor ein paar Wochen hatte ich wieder diesen Traum, aber die Scham war weg. Jemand hat mich erinnert, hier, musst du noch fertig machen, und ich habe recht cool gesagt: ich habe da noch ein paar Daten auf dem Laptop, ich wurstel das irgendwie hin. Kein Ding.

Vielleicht wird er in einer oder zwei Dekaden ganz verschwunden sein, der Traum.

Ich war gerne im Labor. Ich mochte es, dem Protokoll Schritt für Schritt zu folgen, zu wissen, welche Stellen ich abändern kann, und welche nicht, wo ich ganz genau sein kann, und wo es reicht, zu schätzen, wo die Sekunden zählen, und wo es auf die Viertelstunde nicht ankommt. Wo etwas heiß war und kalt wird, stetig fließt oder erhärtet, die Farbe wechselt oder den Aggregatszustand. Aber die Liebe ist irgendwann gestorben, erstarrt und leblos geworden zwischen den zweiundsiebzig Proben, die ich immer wieder und immer wieder und immer wieder und immer wieder und immer wieder und immer wieder und immer wieder und immer wieder pipettiert habe, nachts um zwölf, allein unter Neonlicht und zwischen surrenden Maschinen, während es immer kälter wurde, die Hand bandagiert. Sehnenscheidenentzündung.

Ich darf nicht warten, sagt mein Coach, dass mir jemand einen Stempel gibt, und ein Fleißbienchen schon gar nicht, mich zertifiziert für den nächsten Schritt. Die Erlaubnis kann nur ich mir selbst geben.

Kontakttagebuch: Muttern.