Grief is like that sometimes

Seltsam, dass ich meinen Vater meistens an den schönen Tagen vermisse, und nicht an den schlechten. Ich wünschte, du wärest hier. Es würde dir gut gefallen, jetzt gerade, hier.

Ich vermisse ihn nicht „an den meisten schönen Tagen“, sondern, wenn ich ihn vermisse, dann meistens an einem schönen Tag.

Es sind jetzt sieben Jahre. Wenn man jemanden geliebt hat, hört man nie auf, ihn zu vermissen. Das Vermissen wird aber weniger, vor allem nach dem ersten Jahr, es stabilisiert sich auf einem Niveau, das man wohl „gelegentlich“ nennen könnte. Es wird süßer, melancholischer, ein feiner dunkler Faden in dem Stoff, aus dem der Alltag gewebt ist.

Resonanz

Vom Soziologen Hartmut Rosa stammt das Konzept von “Resonanz“, er versteht darunter eine Antwortbeziehung mit der Welt. Mir gefällt der Begriff Antwortbeziehung sehr: in Kontakt treten mit der Welt, und die Welt antwortet, Schingungen entstehen, Vibes, und in dieser Antwortbeziehung verändert die Welt uns, und wir die Welt.

Depression, sagt Hartmut Rosa, das ist, wenn diese Antwortbeziehung gestört ist. Wenn wir nicht mehr in Kontakt treten möchten mit der Welt, uns nichts mehr interessiert, nichts mehr schwingt, alles flach und öde. Oder noch schlimmer: wenn wir in die Welt hineinrufen, laut und verzweifelt sogar, und keine Antwort erhalten. Nur eine tiefe, schwarze Leere.

Ein Merkmal von Resonanz ist, dass sich die Antwortbeziehung nicht kaufen lässt. Sie kann nicht hergestellt werden, nicht fabriziert werden, denn sie ist nicht künstlich. Wir können Situationen schaffen, die das Eintreten von Resonanz wahrscheinlicher machen, doch es gibt Elemente, die sich unserer Kontrolle entziehen. Es geht nicht anders, es muss so sein.

Ein Beispiel für Resonanz sind Musikkonzerte. Wenn Resonanz gelingt, dann genießen wir das Konzert, wir hören die Musik nicht nur, wir spüren sie sogar. Alles ist Gegenwart und Augenblick. Wir sind ganz bei uns selbst, und doch verbunden mit allen. In Schwingung.

Wer regelmäßig auf Konzerte geht, weiß: es kann ein großartiger Abend werden, oder ein schrecklicher. Es gibt keine Garantien.

Jedenfalls: ich bin gerade im Urlaub, und das Ferienhaus gefällt mir nicht. Ich nehme das auf eine Art persönlich, die ich noch einmal genauer analysieren sollte, aber vielleicht nicht jetzt, denn jetzt tippe ich auf einem zerkratzen Nachttisch, auf einem Bett sitzend, das ich selbst* mit häßlicher, unappetitlicher Bettwäsche beziehen musste, und die Nachttischlampe funktioniert nicht.

Ich kann so nicht arbeiten.

Ich arbeite aber hart daran, meinen Groll gehen zu lassen. Denn ich will offen bleiben für alles schöne, das noch passieren kann in diese Woche, wahrscheinlich dann, wenn ich es am wenigsten erwarte.

*) es war meine Mutter

im Würfelbecher

„Soll ich etwas trauriges schreiben, oder etwas heiteres?“

Wenn man sich nicht entscheiden kann, und eine Münze wirft, erkennt man häufig im Moment des Wurfes, wenn scheinbar alles in der Luft hängt, was man wirklich will und braucht.

Ein paar Mal geweint in den letzten Tagen, wegen Emma, dabei kannte ich sie gar nicht so gut. Sie war sehr wollig, eine Explosion von Fell, ein sehr runder Po, zwei ausgesprochen kleine Ohren. Sie hat sich gerne von mir streicheln lassen, sich mit Gewicht gegen mich gestemmt, um den Körperkontakt zu maximieren, hat manchmal ihren großen Gefühlen mit Lauten Ausdruck verliehen. Es war nichts böses in ihr, oder ich habe es nicht gesehen, nur diese große Zugewandtheit, und eine beschwingte, aber stille Neugier, wenn sie durch die Straßen und Parks lief.

Ich habe sie vielleicht eine Handvoll Male getroffen, über zehn Jahre verteilt oder mehr. Es waren sehr schöne Begegnungen, in jenem Zauber von Berlin, den die Stadt über die Besucher und Reisende legt.

Ich möchte keinen Hund mehr, oder ein anderes Haustier, weil es mir das Herz bricht, wenn sie gehen, oder wenn sie leiden. Vielleicht später einmal, denke ich dann, aber jetzt erscheint es mir unerträglich, unzumutbar, ein klares Nein! wie so oft, wenn es um die Liebe geht. Als müsste ich mein Herz um jeden Preis schützen. Dabei ist mir doch gar nichts schlimmes passiert, denke ich, und wundere mich, und frage mich, ob ich mich irre, in die eine oder in die andere Richtung.

Die Stadt der Banken war sehr schön heute, warm und frühlingshaft. Ich bin mit dem Auto zu Frau Novemberregen gefahren, und die Stadtteile klappten sich auf und dann wieder zu: der Fluß, die Museen, das angesagte Ausgehviertel, sich windende Straßenbahnen, häßlich werdende Wohnblöcke, in die müde Menschen zurückkehren, ein Waschsalon, eine Stadtgrenze, Baustellen und plötzlich ein Park.

Ich schlafe schlecht, seit ein paar Tagen schon, zweimal ein Alptraum, glaube ich, und viele Unterbrechungen. Morgens früh wach. Heute mal den Nüchternzucker gemessen und unzufrieden gewesen. Es wird auch wieder besser werden.

Alles andere – sofern wir die Weltpolitik ausblenden – ist gut gerade. Ich bin mir meiner Privilegien bewusst und genieße sie.

Ich bin gerne unterwegs, und komme am meisten zur Ruhe, wenn ich gerade zwischen zwei Punkten bin.

Wish

Von einer Bibliothek geträumt. Sehr groß, ein klassizistischer Bau, vielleicht in London. Ich muss erst Schlange stehen, gehe dann durch einen Garten mit sehr schönen Beeten – vielleicht kann man die Pflanzen auch ausleihen – und dann in eine Halle mit Galerien und Winkeln, ein Füllhorn an Medien, mit einem Blick gar nicht zu erfassen. Es ist eine angenehm pulsierende Aktivität zu spüren, Menschen laufen herum, stöbern, nehmen Dinge aus den Regalen und stellen sie wieder zurück, setzen sich hin und lesen.

Hinter einer Säule ein langes Regal mit Zeitschriften. Plötzlich habe ich ein Comic mit Robert Smith in der Hand – interessant, denke ich. Daneben eine ganze Reihe von Musikzeitschriften mit The Cure auf dem Cover, Robert im blauen Hemd mit den gekämmten Haaren (ungefähr so). Nach einer Weile verstehe ich, dass die Bibliothek in dieser Abteilung immer Zeitschriften ausstellt, die „on this day“ vor einigen Jahren oder Jahrzehnten veröffentlicht wurden. Im Traum denke ich „ah, vor 25 Jahren“, es sind aber tatsächlich beinahe auf den Tag 30 Jahre.

Im Traum habe ich so ein Glücksgefühl, weil ich diese Bibliothek entdeckt habe und darin etwas von The Cure, das mich sehr interessiert und mir Freude macht. Beides sind wiederkehrende Elemente in meinen Träumen, normalerweise aber nicht zusammen.

Ich träume gelegentlich, dass ich in einem Plattenladen bin, so wie es sie in den späten 90er Jahren des letzten Jahrhunderts in Camden, London, gab. Man geht eine unscheinbare Treppe hinunter und steht dann in einem Kellerraum, der ohne Zwischenwände über die gesamte Länge des Gebäudes geht, Reihe um Reihe um Reihe mit Tonträgern. Ich gehe zielstrebig zum Reiter „C“, finde die Sektion für „The Cure“ und dahinter jede Menge Bootlegs, Konzertmitschnitte, B-Seiten und Interviews, die ich noch nie gehört habe. Es ist eine Metapher für all das Unbekannte im Leben, auf das ich noch neugierig bin, das ich noch nicht erlebt habe, aber erleben möchte.

Bibliotheken haben etwa zwanzig Jahre eine große Rolle in meinem Leben gespielt. Zuerst die Stadtbücherei – es gab ja damals noch kein Internet. Für ein oder zwei Jahre auch die Schulbücherei als Rückzugsort, denn ich war einige Zeit lang ganz und gar nicht beliebt in meiner Klasse. Im Studium dann die Universitätsbibliotheken mit ihren komplexen Ausleih- und Suchfunktionen, zu der Zeit gerade im Prozess der Umstellung auf digitale Prozesse. Ich erinnere mich an die Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin und an die Bibliothek des Instituts für Organische Chemie, in der ich viele Stunden gelernt oder das Lernen prokrastiniert habe. Wunderbare Fensterplätze hatten die. Ich möchte irgendwann noch einmal hin und mir anschauen, wie das heute alles aussieht. Ich glaube, das Gebäude des Instituts gibt es gar nicht mehr.

Das Bibliotheksgefühl ist kein rein positives. Es ist verbunden mit der Erinnerung, noch nicht so richtig zu wissen, wer ich bin und wer ich sein möchte, was ich kann und worin meine Stärke liegt. Alles ist ein wenig fragil, vielleicht auch ein bisschen prekär, das Scheitern eine reale Möglichkeit.

Also ganz so, wie es ist, wenn man etwas Neues wagt.

Ich mag an meinen Unterbewusstsein, dass es so ganz und gar nicht subtil ist.

23

Aus dem Büro gegangen, nicht rechts und dann mit dem Aufzug in die Tiefgarage, sondern durch die Drehtür und dann über die Straße. Die kleine Gasse hinter Prada, Dior, Gucci und Louis Vuitton entlang, wo die Angestellten rauchen, sich die Pappkartons stapeln, die Desk-Sharer auf cool machen und zwei afrikanische Frauen über Gott sprechen. Ich hatte lange überlegt, ob ich meinen Wintermantel aus dem Auto holen soll, ein Gedanke, der mir jetzt absurd vorkommt.

Heute eine Transaktion von etwas mehr als einer Million Euro abgewickelt. Ich denke darüber nach, ob ich das viel finde oder wenig, und komme zu keiner Antwort. Eine Wohnung würde man dafür schon bekommen, und sie wäre vielleicht sogar schön, oder zumindest ganz nett.

Handtaschen oder Chanel interessieren mich nicht. Ich gehe in die Buchhandlung, kurz nur, denn ich bin bald mit Frau Novemberregen wartet. Der Kassierer trägt ein Schild mit der Aufschrift “ich kann nicht sprechen“. Wir kommunizieren einseitig.

Ich überlege, immer mal wieder, gerade jetzt auch, was mich glücklich macht. Was mich noch etwas mehr glücklich macht. Was fehlt. Was der Punkt ist, oder die Pointe.

Und dann bin ich, ohne es so richtig zu wollen und ohne es geplant zu haben, ein bisschen verzaubert von der Stadt, wie sie sich präsentiert heute, wie sie aufgetaucht ist aus dem Wintergrau. Als wäre es eine andere, heimliche Stadt – aber das stimmt nicht, es ist einfach nur die Sommerstadt, die Fünf-Uhr-Stadt, und wir sehen uns nicht so oft. Ich wäre heute beinahe nicht rausgegangen, es ist ein beinahe absurder Zufall, denn Amazon – ausgerechnet! – hat nicht geliefert.

Ich sollte es öfter tun. Rausgehen, den Alltag durchbrechen, neue Welten in die kleine Welt in mir drin hineinlassen.

Ich ziehe die Strickjacke aus, und laufe an einem Thermometer vorbei: 23 Grad.

Flat white

Der Starbucks zwischen den Bürotürmen hatte den ersten Lockdown nicht überlebt. Dort gibt es jetzt eine Art Hipstercafé, aber mehr so im mid-century modern-Stil (also zwischen Mad Men und dem Helmut Kohl`schen Kanzlerbungalow). Zwei junge Männer – vielleicht Brüder – in einer Uniform, die dem von Stewards auf einem Atlantiküberquerung ähneln, machen sehr guten Kaffee. Ihre Mutter backt Croissants und einige Croissant-ähnliche Gebäckstücke mit komplizierten Namen. Die Espressomaschine ist ganz Stahl und Chrom. Die Preise sind in vollen Euro, und es gibt vier Kaffeespezialitäten, frisch gepressten Orangensaft und vier alkoholische Getränke. Sonst nix. Irgendwo steht ein DJ-Pult. Es gibt keine Sitzplätze, nur eine Theke zum Stehen.

Ich war erst sehr skeptisch und beobachte diesen Laden weiterhin mit einer gewissen Verwunderung. Der Kaffee ist aber wirklich gut, es ist nur ein Block vom meinem Büro entfernt und als Treffpunkt für ein kurzes Gespräch draußen ist es ideal, insbesondere da ich ja pandemiebedingt kein indoor dining mache.

Jedenfalls, ich komme zum Punkt: ich war gestern das erste Mal seit etwa einem Monat wieder da (Urlaub etc.), und als ich die Tür aufmachte, ging ein großes Strahlen über das Gesicht eines der beiden Männer. Ich scheine also einen gewissen Stammgaststatus erreicht zu haben. Der junge Mann und ich hatten recht am Anfang meiner Besuche eine Interaktion, wo er mir versehentlich falsch rausgegeben hatte, nämlich 5€ zu wenig. Es war mir nicht aufgefallen, er hat mich darauf angesprochen. Ich habe den Schein dann wieder zu ihm rübergeschoben, was anscheinend nicht herablassend, sondern charmant rüberkam (und ja auch so gemeint war).

Viel mehr als das Trinkgeldthema frage ich mich aber, wie meine wechselnde Begleitung auf den Steward wirkt: ich bin dauernd in anderer Begleitung da. Am konstantesten mit Frau Novemberregen, ein paar Mal mit dem IT-Leiter, und ansonsten mit den verschiedensten Mitarbeiter:innen und gelegentlich mit Freundinnen.

Welchen Eindruck das wohl hinterlässt, wenn man den Hintergrund nicht kennt?

Ich bin neugierig, aber mir natürlich auch im Klaren, dass andere Leute gar nicht so viel über einen nachdenken, wie man manchmal meint.

Dinge ohne Ort

Frau N. hat heute wieder ein besonderes Getränk, und zwar brasilianische Passionsfrucht (mitgebracht von einem Bekannten direkt aus Brasilien), das sie sich mit Sekt aufgegossen hat. Sieht nicht appetitlich aus, schmeckt aber bestimmt gut.

Ansonsten hatte Frau N. heute ein Issue mit der Pünktlichkeit, obwohl wir unseren Termin bereits regulär eine Stunde nach hinten verschoben hatten und OBWOHL sie zuhause in (freiwilliger) Quarantäne sitzt und eigentlich gar nicht so viel anderes machen kann. Darüber hinaus bemängele ich noch ihr technisches Equipment, denn obwohl Frau N. einen Computer, einen Laptop, ein Tablet und einen Arbeitsrechner besitzt, nimmt sie an unserem Gespräch auf der schlechtesten aller technischen Ebenen teil, nämlich per Handy. Und ohne Kopfhörer. Und das in Pandemiemonat 26!

Ich seufze, und sie sagt: „was ist das für ein Geräusch?“, und wir kabbeln uns ein bisschen, wer von uns beiden für die Soundqualität verantwortlich ist.

Es ist schön, sie zu sehen. Und es geht allen einigermaßen gut, größtes Problem scheint die Langeweile zu sein.

Wir sprechen ein bisschen über die Reduzierung der Möglichkeiten in der Selbstisolation, und dass es auch etwas befreiendes hat. Erinnert mich an den Pandemiebeginn, als ich dachte, dass es ja auch mal ganz schön ist, so viel zuhause zu sein. Ich ging viel mit meiner Mutter spazieren, man war den Jahreszeiten näher, wir haben Rehe gesehen und Hasen und einmal sogar eine Natter, und kannten alle Vorgärten und Briefkästen in der Nachbarschaft.

Ich bin durch mit der Reduktion der Möglichkeiten und gehe demnächst wieder auf ein Konzert (mit Maske). Beim Ticketkauf habe ich mich sehr gefreut. Es hat mir gefehlt.

Ich arbeite normalerweise in den Büroräumen, heute aber nochmal Home Office. Ich habe es aus Gründen ruhig angehen lassen und zwischendurch immer mal wieder aufgeräumt. Nach nur sechs Jahren in dieser Wohnung ist bald alles an seinem Platz und ordentlich per Etikettiergerät beschriftet. Es war sehr zufriedenstellend.

Für ein bekanntes Organisationsproblem habe ich eine ungewöhnliche Lösung gefunden. Ganz okay, denke ich, solange die Kiste nicht zu groß wird.

Bubbles

Frau N. trinkt einen Bubble Tea und ich bin recht neidisch, denn ich habe noch nie Bubble Tea getrunken. Sie hat außerdem zwei Glückskekse, einen öffnet sie für mich und sagt:

„Das wird dir nicht gefallen“.

Sie hat Recht, denn der Glückskeksspruch lautet: „Change is coming.“

Change is never good, people say it is but it is not.

Ich zitiere das gerne, und es ist wahr und es ist falsch.

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Zwei Wochen im Mandatory Block Leave gewesen. Man würde vielleicht vermuten, dass ich im Urlaub schlecht abschalten kann, dass ich ständig Mails checke oder am Pool mit dem Büro telefoniere. Tatsächlich gelingt mir das Loslassen gut, ich ergebe mich dann in eine ce sera sera Haltung, und meine anderen Interessen übernehmen die Führung. Viel gelesen im Urlaub, das hat gut getan. Mir neulich ein Buch zum Thema Self Care gekauft, das ich noch nicht gelesen habe, denn eigentlich weiß ich ja, wie es geht.

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Noch ein Nachtrag zum Dienstleister, über den ich mich so geärgert hatte (Sie haben das alle bestimmt schon wieder vergessen). Ich bestellte ihn (also den Vertreter) am Freitag vor dem Urlaub ein. Ich war sehr ernst, und ich war sehr gut vorbereitet. Dem Unternehmen ist Schaden entstanden, habe ich gesagt, und dann ausgeführt. Und wie ich da mich so in meinem gerechten Zorn erging, eisgekühlt, passierte etwas Ungewöhnliches: der Dienstleister ertränkte mich in Freundlichkeit, ich wurde festgeklebt von Honig, ich wurde Golden Retriever-like umgeworfen. Keine Rechtfertigung, sondern volle Zustimmung bei allem: natürlich wolle man stets nur das Beste für das Unternehmen, es ist sozusagen eine Mission, stets den allerbesten Service, und die Dinge werden genauso gesehen wie ich sie sehe etc.

Muss man sich merken, so als Taktik im Köcher.

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Heute beim Nachhausefahren – es war noch hell – beobachtet, wie eine Frau mit ihrem Fahrrad gestürzt ist, an einem Fußgängerüberweg. Wobei ich den Sturz selbst nicht gesehen habe, erst ab der Sekunde danach: die Frau, die am Boden liegt, und dann ein Paar, das sofort hilft. Er sammelt die Trinkflasche ein, die langsam Richtung Deutsche Bank rollt, sie stellt die Yogamatte wieder in den Fahrradkorb, denn die Frau hat sich aufgerappelt, ist aufgestanden. Sie ziehen das Rad von der Straße auf dem Bürgersteig, erkundigen sich nach der gestürzten Frau, der es gut zu gehen scheint, ein Schreck nur, es ist ihr alles ein bisschen peinlich.

Meine Ampel wird grün, ich bin gerührt, und fahre weiter.

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Innerhalb von zwei Tagen sind die Kirschblüten aufgegangen. Wir sind gerade in dieser einen Woche, in der alles grün wird oder blüht, jeden Tag ein bisschen mehr, als ob jemand mit dem Pinsel über die Landschaft streicht. Ich mag es sehr, dem zuzusehen.

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Kein guter Blogeintrag, aber ein sehr schönes mäanderndes Gespräch mit Frau N. war das heute.

Papiernes

Gibt so ein paar Sachen, über die man zur Zeit schlecht Witze machen kann, Spritpreise zum Beispiel (abgenudelt), Weltfrieden (zu emotional) oder den dritten Weltkrieg (too soon).

Es ist brüchiger geworden alles, durchscheinend wie japanisches Papier. „Lohnt sich das jetzt noch?“ ist so eine Frage, die unter der Oberfläche von fast allem ruht. Keller aufräumen? Ja, denn die Illusion, Ordnung zu schaffen, tut mir gut. Dekovorhänge fürs Schlafzimmer? Ja, Nestbau. Bewusster essen für bessere Blutzuckerwerte oder Schokolade für die Seele? Schwierig.

Ich mache, was ich immer mache, ich gehe ins Büro, ich komme heim, ich räume die Spülmaschine aus- und wieder ein. Ich tanke und ich kaufe Klopapier und Nudeln, ich spreche mit Frau N. über Bargeldreserven und mit Lieblingstwitter über Kurbelradios. Es fühlt sich alltäglich an, ich lade Powerbanks auf und teste Batterien als Teil meiner Routine, so wie ich das Waschbecken putze und Handtücher wechsle.

Frau N. fragt mich, wie oft ich tanken muss. Ich erzähle, dass ich jetzt öfter tanke. „Wegen Flucht“, fragt sie, und ich denke, sie macht sich lustig, und vielleicht tut sie es auch, aber dann sagt sie: „es beruhigt mich zu wissen, dass du gut nach Hause kommst“.

Seufz.

Meinen Streit mit dem Empfangsdienst habe ich eskaliert, auch wenn Frau N. meint, dass es eigentlich nicht mein Niveau ist, und nichts zu gewinnen ist. Mir scheint es aber irgendwie sehr wichtig zu sein, ich habe nämlich Recht und ich möchte, dass das anerkannt wird, auch wenn ich vermute, dass es der anderen Seite an der Fähigkeit mangelt, dies grundsätzlich einzusehen. Vielleicht zeigt die Zeit, was mich da reitet, gerade.

Meinen eigener Aufstieg innerhalb der Organisation mag ich gerade nicht so richtig vorantreiben. Auch interessant.

Zerbrechliche Zeiten. Als ich noch jung war, und rome von Rounders etc, da fand ich Charles Bukowski toll, und mich selbst so richtig edgy, wenn ich ihn gelesen habe. Each man must realize that it can all disappear very quickly, an diese Zeile habe ich mich heute morgen erinnert. All our foundations – including love – rest on foundations of sand.

Was die Liebe angeht, stimme ich nicht mit ihm überein. Für mich schafft die Liebe eine Verbindung, die nicht schwindet, auch nicht, wenn die Lebenswege auseinander gehen. Auch nicht durch den Tod

Auch meine Liebe zur Welt hat Bestand.

hoch, runter

Ich sitze in der Küche von Novemberregen und blogge. Hatte heute sowohl meinen Geldbeutel (andere Tasche) als auch mein iPad (mit Tastatur), über das ich normalerweise blogge, wenn ich bei Frau N. bin, zuhause vergessen. Zum Glück hat sie mich zu einem Mezze-Teller und Schawarma eingeladen, und jetzt darf ich auf dem Endgerät eines Haushaltsmitglieds bloggen.

Ich werde selten so verwöhnt wie bei Frau N. Ich war seit Oktober nicht mehr bei ihr zuhause, wir haben uns nur draußen oder per Video gesehen.

Bisschen über meinen Streit mit einem Empfangsmitarbeiter gesprochen. Es stellt sich heraus, dass mein Ärger ganz berechtigt ist, und auch nicht. Es ist schlechte Dienstleistung, wirklich sehr schlechte Dienstleistung. Ich fühle mich darüber hinaus auch gemaßregelt, vorgeführt, geschulmeistert. Ich kann die mangelnde Dienstleistung addressieren, aber nicht meine Gefühle, die muss ich wegatmen, wieder mal, ganz professionell.

Frau N. lacht, nicht über mich, nicht mit mir. Über die Situation, über das absurde, über das Theaterstück, das andere aufführen und in dem man unvermittelt eine Rolle zu spielen hat, die man nicht wollte.

Ich will, dass einmal irgendetwas einfach einfach ist.

Vor ein paar Jahren habe ich Frau N. gefragt, was sie noch für Ziele hat. Ich hatte das Gefühl, selbst alles erreicht zu haben – wobei alles hier ein großes Wort ist – zumindest: einen Sättigungszustand erreicht zu haben: Job war gut, Freundschaften gut, Wohnung war gut, Geld war gut, jede Menge Reisen, ich war mit mir ganz zufrieden, und doch unzufrieden, denn: was nun? Was als nächstes? Frau N. hat damals zu mir gesagt, sie wünscht sich einfach, dass alles so bleibt wie es ist.

Dann kam die Pandemie, und jetzt der Krieg, und wir sind dabei, mehr zu verlieren, als wir uns je hätten vorstellen können.

Stellen Sie sich vor, was mir heute Abend passiert ist: ich gehe aus dem Büro raus, rufe den Aufzug, die Aufzugtür geht auf und ein junger Mann mit Maske ist gerade dabei sich den Pullover über das Hemd zu ziehen. Ich glaube, er hat kurz gequietscht, als die Tür aufgegangen ist, und mir einen Blick zugeworfen wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Ich habe dann höflich gefragt, ob ich zusteigen darf, wir haben beide ein bisschen gelacht, ich meinte, dass ich hoffe, dass er noch bekleidet ist, wenn wir unten ankommen, haha. Es war aber auch ein bisschen süß, ich habe mich beim Aussteigen bedankt, dass er mir ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert hat.

Überhaupt, Aufzüge. Ich könnte lange über Aufzüge sprechen oder schreiben. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass zwischen der Aufzugtür und dem Boden ein schmaler Schlitz ist, der tückischerweise genau breit genug ist für ein Mobiltelefon oder eine Broschüre oder ein kleiner Dokumentenpack? Unter den Aufzügen gibt es eine Art von Käfig, in dem alles gesammelt wird, was da so unterfällt – oder zumindest die Splitter davon. Wer mal The time traveler’s wife gelesen hat, weiß, wovon ich spreche.

Ich denke da gelegentlich dran: einen Ort, an dem alles gesammelt wird, was wir je verloren haben, während wir hoch fahren oder runter, mitfahren oder aussteigen, aufbrechen oder ankommen.

Das klingt jetzt schon wieder so melancholisch, dabei geht es mir eigentlich ganz gut.