„Wie soll sie denn aussehen, diese Veränderung, deren Fehlen du immer beklagst?“, fragt mich die Fledermaus. Die Frage kommt mir seltsam bekannt vor.
„Zum Beispiel Crush“, sage ich. „Wieso muß mir das immer wieder passieren, wo ich doch schon weiß, wie es ausgeht?“. Ich erzähle ihr von dem Hochgefühl, das ich habe, wenn ich ihn sehe, und wie es immer gemischt ist mit Bitterkeit, weil ich weiß, bald werde ich wieder leiden. Crush ist mein Crystal Meth: er macht mich high, bevor ich abstürze.
„Vielleicht muß das so sein“, mutmaßt sie, „und jeder Mensch hat ein oder zwei Geschichten, die ihm immer wieder passieren… eine Art Aufgabe.“ Ich schaue auf die Straße, den Fluß aus roten Rücklichtern, und höre ihr zu, während wir durch die Nacht fahren, konstant 120.
„Du meinst, wie bei einem Computerspiel?“
Ich denke ein wenig darüber nach, was ich heute anders mache als noch vor fünf Jahren. Ich glaube, ich muß nicht mehr bis zum äußersten gehen, bis einer heult, oder bis ich blute. Level 2, immerhin.
***
Ich hatte Crush ein Treffen angeboten, semioffiziell, zu dem er zunächst zustimmte, um es wenige Tage später aus Termingründen abzusagen. Er fragte nicht nach einem Ersatztermin. Es war wie ein Ball, den ich ihm zugespielt hatte, und der sofort wieder zurückgeschossen kam. Ich ließ ihn liegen, schweren Herzens.
***
Ein letzter, mehr als offizieller Termin, wir beide fest in unsere Rollen eingeschnürt. Er ist ungewohnt zahm und nicht so ruppig und übellaunig wie sonst. „Wie gehts dir?“, frage ich, und er sagt: gut.
Der Raum ist lichtdurchflutet, und ich habe lange Zeit, ihn anzuschauen. Er trägt ein Kapuzenshirt, dessen Farbton mich an meine Träume erinnert. Seine Haare haben die Farbe von dunklem Honig. Mir gefällt, wie sich sein langer Körper über dem Tisch beugt und biegt, er ist ein wenig zu groß für eine bequeme Sitzhaltung. Etwas an seinem Gesicht erinnert mich an meine Schwester: Stirn und Nase, sein Teint, und schwierig wie sie ist er auch. Ich betrachte seine Hände: die kurzen Fingernägel, die rechte Hand leicht nikotingelb, und sie gefallen mir, obwohl sie eigentlich nicht schön sind, und ich kann mir vorstellen, wie sie mich berühren. Zweimal wird mir sehr, sehr warm.
Dann ruft er mich, und ich beuge mich über seine Unterlagen, nah, ganz nah. Ich sehe nicht besonders gut aus – die Anstrengung der letzten Wochen spiegelt sich in meinem Gesicht – aber ich weiß, daß ich gut rieche: nach Zitronengras, Lavendel, Äpfeln, Spätsommer. Meine Haare sind offen, ein halber Meter schimmernde Seide. Ich kann ihm nicht helfen.
Ich nehme mir vor, in den letzten Minuten noch einmal auf seine Augenfarbe zu achten, sie mir zu merken. Sie sind blau, ohne die Spenkel der Fledermaus, und viel heller, nicht so warm wie das Meer in der Karibik, nicht so kalt wie ein Gletschersee.
Dann ist es vorbei, er steht auf, zieht seine Jacke an, wir reden ein paar Sätze. Erst später fällt mir auf, daß er viel näher bei mir stand als sonst, wie ein hoher Heizkörper, wie eine Wand, hinter der es still und ruhig ist, als wäre die Welt für einen Moment ausgeschlossen. „Falls wir uns nicht mehr sehen..“, sage ich, „..ich wünsche dir alles Gute.“ Er schaut mich an, nachdenklich, und ich lächle, denn genau so meine ich es auch.
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Wenn ich einen Wunsch frei hätte, jetzt in diesem Moment, dann würde ich gerne mit ihm in einem Café sitzen dürfen, einen Milchkaffee lang, und mit ihm reden. Warum er die Haare so trägt, wie er sie trägt. Wo er herkommt. Warum er sich für diesen Beruf entschieden hat. Was er vorhat, mit diesem Leben. Ob er manchmal alles satt hat. Was er für Musik hört, was der Soundtrack seines Lebens ist.
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„Wie ist das so, in einer Liebesbeziehung?“, frage ich Ruth. Ich kenne mich ja nicht aus. Ich war verknallt, verliebt, viel zu oft – in Männer, die ich kaum kannte, und ich war zusammen mit Männern, die ich mochte, aber Liebe war das nicht.
„…angenehm“, sagt Ruth nach langem Zögern. „Man hat immer so ein angenehmes, warmes Gefühl, wie in einen Mantel gehüllt, egal wohin man geht, was man macht, und was einem passiert.“