Eine langjährige, gute Freundin meiner Mutter ist gestorben, die auch in meinem Leben ein Fixpunkt war. Sie lebte auf einem anderen Kontinent, aber seit meiner Kindheit sahen wir uns immer mal wieder. Vor zwei Jahren waren wir alle zusammen im Urlaub auf den Kanarischen Inseln. Auch mein Vater war dabei, schon ziemlich erkrankt, oft unruhig, konnte sich nicht mehr alleine anziehen, aber noch laufen und hat vor allem die Flugreise bewundernswert gelassen ertragen. Mit der Freundin hatte ich lange, tiefe Gespräche, über so alles mögliche, aber vor allem über die Erkrankung meines Vaters. Ihre Mutter war ebenfalls demenzkrank, die Erkrankung ging viele Jahre. Ich weiß noch, wie sie mir erzählt hat, dass sie im Auto auf der Rückfahrt von dem Heim, in dem ihre Mutter untergebracht war, oft einen Gefühlsausbruch hatte: I cried and I screamed and I raged, I let it all out. Ich wusste es damals noch nicht, aber so würde es mir auch gehen.
Anfang des Jahres dann die Krebsdiagnose bei ihr, und jetzt: vorbei. Ich suche nach einer Karte für ihre Familie, drehe den Ständer vor dem Geschäft. Die Glückwunschkarten neben den Kondolenzkarten, und ich denke: so ist das Leben.
Auf meinem Schreibtisch liegt noch eine „get well soon!“-Karte für sie, die ich nie abgeschickt hatte, weil ich die Zeit nicht gefunden habe, die Kraft nicht, weil ich dachte, wir hätten sie noch ewig, und die Zeit mit dazu. Jetzt ist es zu spät.
Zu Besuch bei meiner Mutter. Die Sachen meines Vaters sind noch da, ich habe nur etwas Kleidungsstücke weggegeben, sonst nichts, sagt meine Mutter. Das Pflegebett hatte das Sanitätshaus wieder abgeholt, aber sonst ist sein Zimmer so wie immer. Ich nehme sein Schachbrett mit, die Schachfiguren, und ein Schachbuch, das ich ihm geschenkt habe, und das er nie gelesen hat, weil er schon viel kränker war, als ich hatte wahrhaben wollen. Willst du nicht auch ein paar CDs mitnehmen, fragt meine Mutter, und ich sehe die CDs, die ich für ihn zusammengestellt habe, mit selbstgestalteten Covern, Bilder von mir und ihm vornedrauf, meine Handschrift aus einer Zeit, bevor all dies angefangen hat. Es sind die kleinen Dinge, deren Vergänglichkeit mir das Herz zusammendrückt.
Das Fehlen von jemand hält den Alltag nicht davon ab, weiterzugehen. Man gewöhnt sich daran, dass es ist, wie es ist. Aber ich hätte diese Freundin gerne noch einmal besucht, hätte mir gerne ihr kleines Haus am Meer angeschaut, auf das sie so stolz war, wäre mit ihr gerne im Auto rumgefahren, die Blue Rigde Mountains am Horizont. Und manchmal ist mir danach, mich noch einmal mit meinem Vater zu unterhalten, einen Spaziergang mit ihm zu machen. Ich hätte ihn noch mehr fragen sollen, hätte ihn bitten sollen, mir mehr über sich und seine Sicht auf die Dinge zu erzählen. Wir waren uns nah, aber ich hätte ihn gerne noch besser kennengelernt. Es fehlen mir diese Möglichkeiten, und ihr Fehlen macht die Welt ein Stück schmaler.