cleanliness is next to godliness

Momentan Putzfimmel. Hat damit begonnen, daß ich demnächst meine Eltern zum Flughafen fahren muß. In meinem Auto, das sie vor zirka zehn Jahren bezahlt haben. Es ist ein schönes Auto, wird aber von mir leider als Abstellkammer mißbraucht. Zweimal im Jahr sauge ich den Fußraum aus. Im Kofferraum befindet sich immer noch die Kühlbox, die ich beim Grillen mit zwei Berliner Bloggerinnen im Mai oder Juni ’05 dabei hatte. Und der Stil einer Malerrolle, mit der Frau Engl im Juli letzten Jahres freundlicherweise meine Zimmerdecke endrenoviert hat. In der letzten Woche habe ich jeden Tag zwei Tüten mit Kram aus dem Auto in die Wohnung (vierter Stock! kein Aufzug!) geschafft, wo er jetzt im Weg steht. Heute habe ich zwei Stunden lang eine sogenannte „Innenreinigung“ durchgeführt. Im Anschluß an die Außenreinigung, aber das hat die Waschanlage gemacht.
Zudem wurde ich vor ein paar Tagen in die Welt der Klappwischer (auch „Flachwischer“) eingeweiht. Sofort begeistert die Wohnung gefeudelt. Bett frisch bezogen etc. Hätte gerne auch noch die Fenster geputzt, war aber bedauerlicherweise zu dunkel.
Frage mich, ob der Putzfimmel ein Ventil für Streß sein könnte. Ich habe nämlich Streß wegen dem anstehenden Familientreffen samt Fahrt zum Flughafen, von Schiß ganz zu schweigen. Der Rat, man solle da doch am besten entspannt bleiben, hilft da auch nicht weiter. Andererseits – apropos „entspannt“ – ist mein Sexdrive zur Zeit ein wenig gesteigert. Könnte also auch was biologisches sein. Nestbautrieb. Hyperaktivität. Irgendwas mit dem Hypothalamus.
Einen Putzfimmel zu haben ist allerdings nicht das schlechteste.

(ohne Titel)

Mit Ruth beim Chinesen über Gott geredet. Neulich wurde bereits meine Neigung zu unpassenden Tischgesprächen kritisiert, als ich mit einem Science Fiction Autor über Science Fiction reden wollte. Aber wie soll man auch sonst erfahren, was einen wirklich interessiert.
Ruth hat mich mit der Äußerung überrascht, sie hoffe, nach ihrem Tod für die ganze Scheiße, die sie in ihrem Leben so ertragen mußte, belohnt zu werden. Um das zu verstehen, muß man wissen, daß sie eine von diesen Nonnen geleitete Klosterschule besucht hat. Außerdem hasst sie ihren Job bei einer Versicherung, hat eine modellhaft verkorkste Familie und findet ihre Haare zu dünn.
Ich bin ja mehr dafür, das jetzige Leben so paradiesisch wie möglich zu gestalten, weil was nach dem Tod kommt, das weiß man ja nicht so genau. Ich hoffe immer, daß ein Apfelbaum aus mir wächst.

Am Tisch neben uns tauchte dieses Pärchen auf. Er mit Rotzbremse, saß ihr diagonal gegenüber, also so weit voneinander weg wie möglich. In ein paar Jahren sitzen sie vielleicht nicht einmal mehr am selben Tisch. Sehr seltsam. Unnötig zu erwähnen, daß sie nichts miteinander geredet haben. Sie gingen zum Buffett, schaufelten sich voll, guckten aneinander vorbei und waren in zwanzig Minuten fertig. Ruth und ich gingen dann zwei Stunden später, nachdem wir außer über Gott auch noch über die Welt geredet haben. Dann lasen wir uns aus unseren eMails von 2001 vor. Später hielt mich Ruth sanft am Arm fest, damit ich beim Überqueren der Straße nicht überfahren werde. Hat auch seit zwanzig Jahren niemand mehr bei mir gemacht. Für den Heimweg hat sie mir ein paar Thunfischsandwiches eingepackt.
Über die Jahre haben entweder ihre Schrullen abgenommen oder meine Toleranz zugenommen. Oder beides. Jedenfalls war es ein perfektes, entspanntes Wochenende.

(Ich mag partnerlos sein, dachte ich auf der Rückfahrt, aber allein bin ich nicht.)

(ohne Titel)

Wenn ich glücklich bin, dann spüre ich das Glück wohlig und warm unter dem Solarplexus. (Logischerweise genau dort, wo ich auch das Unglück spüre.) Wenn ich glücklich bin, dann fühlt sich mein Körper sehr entspannt an, so ähnlich, wie wenn man im Winter in eine Badewanne mit warmen Wasser steigt. Wenn ich glücklich bin, dann spüre ich das nicht nur im Körper, sondern auch in der Seele.
Ich bin dieser Tage sehr glücklich. Manchmal wache ich morgens auf, ziehe mich an und höre dabei meine Lieblingslieder, und ich merke, ich bin glücklich. Manchmal gehe ich durch einen Park oder über die Felder und merke, ich bin glücklich. Ich weiß nicht, ob es dafür einen Grund gibt. Meine Arbeit ist zur Zeit recht interessant, es gibt eine neue und sehr nette Kollegin und keine Probleme mit dem Chef. Das Geld ist wenig, aber dank Steuerrückzahlung reicht es sogar für ein paar Tage am Meer. Ich habe mich mit Ruth versöhnt. Das wären gute Gründe, aber es gibt auch Gründe, um unglücklich zu sein: die Schwierigkeiten mit meinen Eltern oder diese Sache hier.
In mir hat sich etwas verändert. Ich weiß nicht, wie es passiert ist und ob es so bleiben wird, aber wenn ich daran denke, daß ich wahrscheinlich partnerlos bleiben werde, dann macht mir das keine Angst mehr. Es macht mir auch keine Angst, mich im Badeanzug zu zeigen oder nackt im Meer zu baden. Ich merke, daß ich den Themen, die mich früher nachts im Bett haben weinen lassen, nun zunehmend mit Gelassenheit begegne.
Was bleibt, ist die Sehnsucht; ein Gefühl, das in Rachen und Speiseröhre sitzt. Als ob man großen Durst hätte, weshalb man wohl auch verleitet wird zu glauben, Essen und Trinken würde Abhilfe schaffen. Selbst oder vielleicht gerade wenn ich glücklich bin, spüre ich auch die Sehnsucht. Sie begleitet mich ein Stück des Weges, bis aus dem Weizen- ein Maisfeld wird oder aus Wiese ein Wald. Dann verabschiedet sie sich und läßt mich zurück in diesem wunderbaren Sommer. Ob ich glücklich bin, weil ich so viel Glück gehabt habe; oder ob ich glücklich bin, weil ich das eine oder andere richtig gemacht habe – ich weiß die Antwort nicht, und es spielt auch keine Rolle.

schlechte Nachrichten.

Bei Frau Engl wurde eingebrochen, Computer gestohlen, wertvolle Daten, unbezahlbare Texte weg. Dabei ist sie doch ohnehin schon mit den Nerven am Ende wegen endloser Renovierungsarbeiten. Ronsens hat sich einen oder auch beide Arme gebrochen, das eigentliche Problem ist der befristete Vertrag, der Kranksein nicht vorsieht. Dooce hat Krebs und auch der Waiter hat eine traurige Geschichte zu erzählen.

Bloggertreffen. Nachlese.

Das Bloggertreffen war mal wieder sehr schön. Eine Sammlung der Berichte gibts bei Stefan zu lesen.
Thorsten Küper hat meine analytisch-investigative Art als Interview begriffen. (Ich bin, so fürchte ich, immer so und kann das auch nur schwer abstellen.) Die Grenze zwischen Interview – Befragung – Verhör ist unglücklicherweise fließend… Zum Trost sei noch einmal auf das Buch hingewiesen, in dem seine hervorragende Kurzgeschichte „das Spiegelbild des Teufels“ zu finden ist. („Lasar hat mir die Sterne erklärt“ gefällt mir als Titel ja besser.)
Mirtana lobt meine „schönen Haare“, woraufhin ich klarstellen muß: Mirtanas Haare sind schöner, weil nicht so dünn wie meine. Außerdem habe ich sie (also ihre Haare) zum Abschied kurz angefasst – sie waren traumhaft zart und seidig.
Der Paraflyer plant schon das nächste Bloggertreffen, zu dem ich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit erscheinen werde.
Zum Schluß noch zwei Weblogs, die ich ab jetzt lesen werde: Flußkiesel und Prospero, beides Bibliothekare.

(ohne Titel)

Was ja auch irgendwie doof ist: während man noch überlegt, ob man Schluß machen soll, feststellen, daß eigentlich schon Schluß mit einem gemacht wurde.
Kann man überhaupt Schluß machen, wenn man gar nicht richtig zusammen ist? Es sollte ein eigenes Wort dafür geben, finde ich.

(ohne Titel)

Ich frage also meinen Vater, ob er mit mir die USA bereisen will. (Später würden wir dann meine Mutter treffen, die bei einem Kongreß in Kanada einen Vortrag halten wird.) Mein Vater ist sehr enthusiastisch. Eine Woche später sagt er ab, Begründung: ich solle besser meinen beruflichen Werdegang weiter vorantreiben (sonst wird aus mir womöglich nichts). Wir haben einen Riesenkrach. Ich heule ziemlich viel. (Das mag Ihnen lächerlich erscheinen, aber die meisten Dinge, die einen komplett fertig machen, sind im Grunde genommen lächerlich. Außerdem: das Internet ist groß. Sie können auch wonanders lesen. Dies ist meine Geschichte, und sie ist nunmal lächerlich.) Meine Eltern und ich sprechen ein paar Wochen nicht miteinander (es gibt ein paar Briefe/ Postkarten.) Dann fangen wir irgendwann wieder an, halbwegs regelmäßig zu telefonieren. Gesehen haben wir uns seit Weihnachten nicht.
Nun fahren meine Eltern also im August in die USA (meine Mutter hält besagten Vortrag). Für das Wochenende vor ihrer Abreise haben sie mich, meine Schwester und deren Ehemann zu einer kleinen Feier eingeladen.
Ich könnte natürlich weiterhin beleidigt und verletzt sein und nicht hingehen. Das ist erstens blöd, falls meine Eltern mit dem Flugzeug abstürzen, ihnen etwas zustößt oder sie Kriegsgefangene des Terrors werden. Zweitens ist es nicht besonders erwachsen.
Ich werde also wohl hingehen, meine Besuchszeit allerdings kurz halten. (400 km hin, Familienfeier, Übernachtung, 400 km zurück.) Die „400 km zurück“ liegen übrigens in der gleichen Richtung wie der Flughafen. Könnte also durchaus passieren, daß meine Eltern mich bitten, sie zum Flughafen zu bringen, was ich nicht abschlagen kann. Auf dem Weg dorthin, so fürchte ich, wird es jede Menge „Aufarbeitung“ unseres Streites geben. (Leider sind wir keine dieser Familien, in denen Dinge totgeschwiegen werden.)
Ich sehe mich schon in der Abflughalle stehen und meinen Eltern hinterherwinken. Erwachsen sein, nicht neidisch sein, das eigene Leben leben könnte ich mir auf einen Spickzettel schreiben. Ich hoffe, daß es helfen wird.

ich bin Victor Clemente

Ich wache auf und habe Halsschmerzen. Gegen Mittag besorgt mir ein Kollege aus der Apotheke dieses Mittel. Meine Nase beginnt zu laufen. In der Nacht schlafe ich schlecht und wache alle zwei Stunden auf. Am Morgen ist das Halsweh weg, dafür fühle ich mich müde und groggy. Leider habe ich sehr, sehr viel zu tun und kann nicht zu Hause bleiben. Am Nachmittag wird mir seltsam heiß und kalt, Gänsehaut und schwitzen. Ich gehe nach Hause und suche mein Thermometer. Ich durchwühle drei Kisten, verteile den Inhalt auf dem Flur, lasse alles liegen, bin kraftlos. Das Thermometer ist in der ersten Kiste, ich hatte es übersehen. 38,8°C. Ich koche mir ein paar Nudeln und lege mich hin. Ich kann nicht schlafen, es ist zu heiß. Mein Körper hinterläßt einen Abdruck von Schweiß auf der Matratze. Ich frage mich, wie wohl meine Sauerstoffsättigung ist. Ich bin Viktor Clemente. Ich diagnostiziere mich selbst.
Wenn jetzt der Notarzt kommen muß. Und die ganze Unordnung im Flur. Wie bin ich überhaupt angezogen. Wem könnte ich meinen Wohnungsschlüssel geben. Wer würde mir ein paar frische Unterhosen ins Krankenhaus bringen.
Ich sehe mich selbst im Flur liegen. Die Sanitäter können nicht ins Haus, die Haustür unten ist abgeschlossen. Ich kann nicht vier Stockwerke nach unten gehen. Ich kann einfach nicht.
Der Weg zum Bad ist eine Meile lang, ich gehe ihn barfuß in der Geröllwüste, einen Berg hinauf.
Der Husten schmerzt in meinem Brustkorb. Ich stehe auf und hole mir schweren Schrittes Tee aus der Küche, ich mache kein Licht an. Am Herd brennt ein Lämpchen. Ich habe die Herdplatte angelassen.

Es wäre falsch zu sagen, daß es mir am nächsten Morgen besser gegangen wäre. Aber Dr. Clemente hat mich verlassen.