eine Ostergeschichte

Am Anfang ist alles rund. Die Welt ist ein Ei. In dieser Welt: ein Ei. Dann bilden sich Richtungen: oben und unten, hinten und vorne. Weil es Richtungen gibt, können sich Segmente formen, und aus den Segmenten Organe, Haut, ein Kopf. Aus dem Ei schlüpft eine Larve. Die Larve wühlt sich durch das feuchte, warme Futter und frißt, scheidet aus, wächst. Die Welt ist weich und ohne harte Kanten, die Larve ein elastischer, formloser Sack in süßem, halb vergorenen Brei.
Lange Zeit bleibt alles gleich, nur die Larve wird größer und größer, bis plötzlich alles anders ist: sie verläßt das Futter und klettert nach oben, soweit es geht, bis sie fast auszutrocknen droht. Ich würde gerne verstehen, woher die Larve weiß, daß es Zeit ist zu gehen. Irgendetwas ändert sich in ihr, obwohl alles gleich aussieht, gleich zu sein scheint. Es treibt sie hinaus, in die Gefahr und Schutzlosigkeit. Ausgerechnet dort baut sie sich einen Kokon aus ihrer eigenen Spucke, und den inneren Veränderungen folgen äußere. Sie löst sich auf, bricht und reißt und wächst: schmerzhaft, glaube ich, so wie Wachstum immer mit Schmerzen verbunden ist.
Eine Zeitlang ist sie nur Zwischenform und baut sich neu zusammen: Kopf und Brust, Beine und Hinterleib. Die Larve gibt es nicht mehr, sie stirbt, und etwas anderes beginnt in ihr: eine Auferstehung, und wenn es fertig ist, dann bricht es unaufhaltsam aus dem Kokon nach draußen. Fühler und Facettenaugen erkunden die Welt. Sie ist voller Luft und Weite. Langsam entfaltet das Insekt seine Flügel, gerüstet für diese Welt mit Schnelligkeit und einem Exoskellet. Und dann fliegt es los.

Auflösungserscheinungen

Es ist alles Theater, und mir gefällt die Rolle nicht, in die ich mich gedrängt fühle. Ich stand vor ihnen wie vor einem Tribunal, in feinen Zwirn und Angstschweiß gehüllt. Sie hatten wenig Gnade mit mir, und irgendwann fehlten mir, der Eloquenten, die Worte.

Seitdem kriege ich die Sätze nicht mehr zuende, alles bleibt Bruchstück, Gedankenfragment.

Mittendrin weiß ich nicht mehr
Klarheit, Stringenz, Pointe, das Fehlen derselben
ich konnte das mal
aber was kann ich überhaupt.

Bin ich der dumme August?
Was ist meine Rolle
und was ist das wirkliche, das echte, das authentische
in der Rolle.

Es steckt eine Chance in all dem
wenn man nicht mehr weiß
wer man ist und wer man sein will
und was man kann und was nicht.

Vor allem aber ist es beunruhigend.

fünf

Fünf Jahre Weblog. Weblog kommt von Logbuch, so wie bei einem Schiff oder meinetwegen der Enterprise, wo der Kapitän die Erlebnisse und Ereignisse der Reise dokumentiert. So ähnlich hatte ich mir das auch vorgestellt – als Dokumentation meines Veränderungsprozesses. Vielleicht betrachte ich das in weiteren fünf oder zehn Jahren wieder anders, aber hier und heute kommt es mir nicht so vor, als wäre mir Veränderung gelungen. Worin ich aber besser bin, das ist das Annehmen meiner Fehler und Unvollkommenheiten und vor allem die Erkenntnis, wie schwierig Veränderung überhaupt ist. Manchmal denke ich, das könnte ein Generationending sein. Menschen meines Alters kriegen oft gesagt, sie könnten alles erreichen, alles werden, ihnen stünden alle Möglichkeiten offen – im Gegensatz zur Elterngeneration, die begrenzt war durch Geschlecht und Anstand, Moral, Armut, Herkunft. Wir müssen erst lernen, so meine These, daß auch uns Grenzen gesetzt sind, unsichtbare, unbenennbare. Trägheit? Ich jedenfalls stehe mir gelegentlich selbst im Weg.

Eine Reise nach Nirgendwo ist es, von der ich mir da Notizen mache. Am meisten betrübt mich die Redundanz: alles, alles habe ich schon einmal erzählt, wahrscheinlich auch das, und wenn ich etwas neues erlebe, empfinde, dann zeigt mir ein Blick ins Archiv oft: es gibt nichts neues unter der Sonne. Ich glaube, die Geschichten hier werden nach und nach ausdünnen, immer weniger werden, sich asymptotisch Null annähern, während ich auf die Pointe warte.
Weil es so wenige sind, will ich aus jeder ein Juwel machen, und ringe nächtelang um Halbsätze. Dabei ist alles ein Entwurf, sogar dieses Leben, und ich kann es editieren, ich kann es löschen. Was wohl bleibt, am Ende?

Die kleinen Dinge vielleicht, jetzt, wo klar ist, der große Wurf wirds nicht mehr. Gute Musik, gutes Essen, kluge Bücher, noch klügere Freunde. Die Haptik von Dingen, die Freude an Materiellem und hin und wieder einen schönen Mann anschmachten. Angenehme Jahreszeiten und ein Körper, der funktioniert, solange es noch geht.
Das soll reichen.

Komfortzone

Ich bin frei zu gehen. Die vergitterte Tür, gegen die ich mich so oft verzweifelt geworfen habe, steht offen. Ich bin frei zu gehen, und ich kann nicht.
Was hält mich? Gewohnheit. Bequemlichkeit. Mein etablierter Platz in der Hackordnung. Die Sicherheit, zu wissen, wie die Dinge ablaufen.
Was fürchte ich? Die Unbequemlichkeit, fremd zu sein, neue Bilder auszuhalten, die Fremde von mir haben. Wieder Lehrling sein..
Wer wachsen will, muß Lehrling sein das ganze Leben lang.

Es war einfacher, als ich noch mehr gelitten habe.

(ohne Titel)

Seit ich wieder mehr als vier Stunden die Nacht schlafe, kommen die Alpträume: ein vor Rechtschreibfehlern strotzender Brief, in dem steht: abgelehnt. Eine Korrektur in rot: inhaltlich eins minus; Form, Aufbau und Struktur: enttäuschend. Flugzeugabstürze, unsteuerbare Autos, in Wände rasend.
Es wird noch eine Weile dauern, bis selbst meine tieferen Schichten begriffen haben: es ist alles gut.

rot, gelb, grün

Ich sitze in meinem Auto, der Motor ist aus. Ich schaue der Ampel zu, wie sie die Farben wechselt, zu müde zum Aussteigen. Rot, gelb, grün. Gelb, rot.
Ich komme von einer Weihnachtsfeier. Weihnachtsfeiern sind grausam, aber mit den Jahren habe ich den Trick herausgefunden: emotionale Distanz, Unvoreingenommenheit und das Fehlen jeglicher Erwartungshaltung. Im letzten Monat habe ich so viel gearbeitet, daß es manchmal nur für vier Stunden Schlaf gereicht hat; ich habe für dieses Jahr noch 25 Urlaubstage und damit also gar keine Zeit gehabt, mir irgendwie Gedanken zu machen. Ich ging hin, und es war nett, es gab sogar einen schönen jungen Mann, der bei irgendeinem Partyspiel sehr lange und äußerst graziös um einen Tisch laufen mußte.
Für mich gibts keine schönen jungen Männer. Merkwürdig, daß meine Gedanken immer wieder darauf hinauslaufen, nicht? Immer wünsche ich, ein Mann würde mich bestätigen in meinem Frausein – wann werde ich’s lernen, daß es so nicht geht. Die Ampel schaltet: rot, gelb, grün, und es wird langsam kalt.
Heute war ein großer Tag. Still gehen sie vorbei, die großen Tage, und das grämt mich ein wenig. Wann wäre ein besserer Anlaß gewesen, mich zu feiern und zu beglückwünschen, ganz ohne Aufforderung? Ausgerechnet eine gute Freundin war heute still und beinahe schroff, hatte keinen Blick für mich bei Glühwein und Lebkuchen. Den Jubel der anderen, den wünsche ich mir aus Stolz und Eitelkeit, es bedeutet nichts. Bei ihr ist es anders. Ich spüre, daß ich in kleinen, aber meßbaren Schritten eine Grenze überschreite, einen neuen Lebensabschnitt beginne. Ich taste nach ihren Händen, aber sie sind nicht da, und ich frage mich, ob mich die Veränderung diese Freundschaft kosten wird. Und wieviel wohl noch.
Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf, während die Ampel schaltet: rot, gelb, grün. Ich bin zu müde, um auszusteigen. Manchmal tut sich ein Loch auf in mir, schwarz und an den Rändern gezackt, und ich fühle mich von allen verlassen. Sogar meiner Mutter grolle ich, weil sie mal wieder voll verpaßt hat, auf ihre Tochter stolz zu sein. Sie kann das einfach nicht. Backen kann sie auch nicht, sie ist einfach nicht diese Art von Mutter.
Es wird langsam kalt. Mein Atem macht kleine, weiße Wölkchen, und die Nacht ist getaucht in grün, gelb, rot. Ich habe einen Cheerleader. In der Stunde meiner Not war sie da, einfach so, unkompliziert, unprätentiös. Sie hat nicht gefragt, ob sie kommen soll, sondern wann ich sie abholen komme. Sie hat mich angefeuert und mir Mut gemacht und als ich beinahe nicht loslassen konnte, stand sie hinter mir und sagte: „diesen Satz noch. Dann ist Schluß.“ Sie hat Seiten gezählt und den Überblick und die Nerven behalten und mir beigestanden. Ich zähle die Tätigkeiten auf und kann doch nicht beschreiben, was sie für mich getan hat. Im Niemandsland, an der Grenze zwischen zwei Lebensabschnitten, war ich nicht allein.
Ich nehme meine Tasche, steige aus und lasse die Nacht hinter mir.

gewonnen.

Was ich mit dem Preisgeld mache, fragt man mich. Geld aus einem Wettbewerb, den ich für verlogen und von politischen Interessen getrieben halte. Die Jury kommt, schaut sich meine Arbeit an, mäkelt und meckert, um mir dann doch einen Preis zu verleihen. Plötzlich finden alle großartig, was ich mache (sie haben es mir bloß nie gesagt). Ihre Arbeit war schon letztes Jahr in der engeren Wahl, heißt es. Wo ist der Boden unter meinen Füßen? Im Alltag nicht, wo man mich kleinhält, und auf der Bühne auch nicht, wo man mich hochjubelt.
Geld. Ein paar hundert Euro. Ich habs verdient, finde ich, weil ich so hart gearbeitet habe, so hart arbeite, immer noch. Ich hätte lieber das Leben wieder, das mir durch die Finger rinnt, während ich vor meinem Schreibtisch sitze.
Ich hätte gerne Crush, nackt, meine Finger in seinem Haar, sein Kopf an meinen Brüsten, seine Augen halb geschlossen, hilflos und verloren und nirgendwo so sehr geborgen wie in mir. Ich hätte gerne, daß er will, was ich auch will.
Immerhin: Crush war beim Wettbewerb. Ich hatte gesagt komm, und er kam. Sein 2000-Watt-Lächeln blitze ein paar Mal auf, während er versuchte, immer wieder einen Schritt zurück, von mir weg zu gehen, aber es ging nicht, weil kein Platz war. Zwei Tage später gibt es genügend Platz, und wir umkreisen einander wie Raubtier und Beute. Ich versuche, die Konversation aufrechtzuerhalten, aber wir brechen auseinander, die Risse sind unübersehbar, während ich versuche, an meiner Leidenschaft festzuhalten. Ein wenig noch, nur ein wenig.

Ich glaube, ich kaufe mir einen Schreibtischstuhl. Da bin ich sowieso die meiste Zeit.