Am Bahnhof

Von Crush geträumt.
Ich bin an einem großen Bahnhof und sehe ihn in der Ferne davonhasten. Rasch verabschiede ich mich von meiner Begleitung und laufe ihm hinterher. Wie immer hat er es eilig. Er verschwindet in einem Bauwagen. Ich stecke den Kopf zur Tür hinein und sage: „lange nicht gesehen..“. Wir wechseln ein paar Belanglosigkeiten. Er erzählt, daß er jetzt Schauspieler sei, gerade in einer deutschen Kinoproduktion mitgewirkt habe. Der Titel kommt mir vage bekannt vor. Mir fällt auf, daß er ein wenig anders aussieht. Seine Haare haben immer noch jene Farbe von dunklem Honig, die mich so fasziniert. Aber er hat das hagere, immer leicht nach vorne gebeugte, unsichere verloren.
„Wollen wir eine rauchen gehen?“, frage ich. Ich rauche nicht. Wir gehen nach draußen, laufen um den Bahnhof herum. Ich bin gänzlich nackt. Dunkel hebt sich der Busch meiner Schamhaare von meiner weißen Haut ab. Es ist mir ein bisschen peinlich, nackt zu sein, aber es gibt dafür eine völlig normale, rationale Erklärung. Crush legt den Arm um mich, und ich schmiege mich an ihn. Freundschaftlichkeit statt der Möglichkeit eines Paares.

Dann gehen wir beide unserer Wege, wie das an Bahnhöfen eben so ist.

Level 2

„Wie soll sie denn aussehen, diese Veränderung, deren Fehlen du immer beklagst?“, fragt mich die Fledermaus. Die Frage kommt mir seltsam bekannt vor.
„Zum Beispiel Crush“, sage ich. „Wieso muß mir das immer wieder passieren, wo ich doch schon weiß, wie es ausgeht?“. Ich erzähle ihr von dem Hochgefühl, das ich habe, wenn ich ihn sehe, und wie es immer gemischt ist mit Bitterkeit, weil ich weiß, bald werde ich wieder leiden. Crush ist mein Crystal Meth: er macht mich high, bevor ich abstürze.
„Vielleicht muß das so sein“, mutmaßt sie, „und jeder Mensch hat ein oder zwei Geschichten, die ihm immer wieder passieren… eine Art Aufgabe.“ Ich schaue auf die Straße, den Fluß aus roten Rücklichtern, und höre ihr zu, während wir durch die Nacht fahren, konstant 120.
„Du meinst, wie bei einem Computerspiel?“
Ich denke ein wenig darüber nach, was ich heute anders mache als noch vor fünf Jahren. Ich glaube, ich muß nicht mehr bis zum äußersten gehen, bis einer heult, oder bis ich blute. Level 2, immerhin.

***

Ich hatte Crush ein Treffen angeboten, semioffiziell, zu dem er zunächst zustimmte, um es wenige Tage später aus Termingründen abzusagen. Er fragte nicht nach einem Ersatztermin. Es war wie ein Ball, den ich ihm zugespielt hatte, und der sofort wieder zurückgeschossen kam. Ich ließ ihn liegen, schweren Herzens.

***

Ein letzter, mehr als offizieller Termin, wir beide fest in unsere Rollen eingeschnürt. Er ist ungewohnt zahm und nicht so ruppig und übellaunig wie sonst. „Wie gehts dir?“, frage ich, und er sagt: gut.
Der Raum ist lichtdurchflutet, und ich habe lange Zeit, ihn anzuschauen. Er trägt ein Kapuzenshirt, dessen Farbton mich an meine Träume erinnert. Seine Haare haben die Farbe von dunklem Honig. Mir gefällt, wie sich sein langer Körper über dem Tisch beugt und biegt, er ist ein wenig zu groß für eine bequeme Sitzhaltung. Etwas an seinem Gesicht erinnert mich an meine Schwester: Stirn und Nase, sein Teint, und schwierig wie sie ist er auch. Ich betrachte seine Hände: die kurzen Fingernägel, die rechte Hand leicht nikotingelb, und sie gefallen mir, obwohl sie eigentlich nicht schön sind, und ich kann mir vorstellen, wie sie mich berühren. Zweimal wird mir sehr, sehr warm.
Dann ruft er mich, und ich beuge mich über seine Unterlagen, nah, ganz nah. Ich sehe nicht besonders gut aus – die Anstrengung der letzten Wochen spiegelt sich in meinem Gesicht – aber ich weiß, daß ich gut rieche: nach Zitronengras, Lavendel, Äpfeln, Spätsommer. Meine Haare sind offen, ein halber Meter schimmernde Seide. Ich kann ihm nicht helfen.
Ich nehme mir vor, in den letzten Minuten noch einmal auf seine Augenfarbe zu achten, sie mir zu merken. Sie sind blau, ohne die Spenkel der Fledermaus, und viel heller, nicht so warm wie das Meer in der Karibik, nicht so kalt wie ein Gletschersee.
Dann ist es vorbei, er steht auf, zieht seine Jacke an, wir reden ein paar Sätze. Erst später fällt mir auf, daß er viel näher bei mir stand als sonst, wie ein hoher Heizkörper, wie eine Wand, hinter der es still und ruhig ist, als wäre die Welt für einen Moment ausgeschlossen. „Falls wir uns nicht mehr sehen..“, sage ich, „..ich wünsche dir alles Gute.“ Er schaut mich an, nachdenklich, und ich lächle, denn genau so meine ich es auch.

***

Wenn ich einen Wunsch frei hätte, jetzt in diesem Moment, dann würde ich gerne mit ihm in einem Café sitzen dürfen, einen Milchkaffee lang, und mit ihm reden. Warum er die Haare so trägt, wie er sie trägt. Wo er herkommt. Warum er sich für diesen Beruf entschieden hat. Was er vorhat, mit diesem Leben. Ob er manchmal alles satt hat. Was er für Musik hört, was der Soundtrack seines Lebens ist.

***

„Wie ist das so, in einer Liebesbeziehung?“, frage ich Ruth. Ich kenne mich ja nicht aus. Ich war verknallt, verliebt, viel zu oft – in Männer, die ich kaum kannte, und ich war zusammen mit Männern, die ich mochte, aber Liebe war das nicht.
„…angenehm“, sagt Ruth nach langem Zögern. „Man hat immer so ein angenehmes, warmes Gefühl, wie in einen Mantel gehüllt, egal wohin man geht, was man macht, und was einem passiert.“

letzte Male

Ich begleite ihn leise zur Tür, während die anderen konzentriert weiterarbeiten. Erst auf dem Gang fange ich an zu sprechen. „Ich will dir nicht auf den Sack gehen,“ sage ich, und meine, ein leichtes Lächeln ob dieser legeren Formulierung in seinem Gesicht zu sehen, „aber – was war los?“. Der Termin ist denkbar schlecht für ihn gelaufen.
Er spricht von der Zeit, und wie sie einem durch die Finger rinnt, immer zu wenig. Ich kenne das, und ich sehe es ihm an. Er sieht fertig aus, müde und überarbeitet, sein Teint gelbstichig, um seine Lippen klebt etwas weißes, das mich an Schlafspucke erinnert, aber wahrscheinlich Vaseline ist. Trotzdem ist es ein guter Moment, da im Gang. Er hält immer noch Distanz zu mir, steht so weit weg, daß ich ihn nicht berühren könnte, wenn ich die Hand ausstreckte. Aber sein Oberkörper biegt sich zu mir wie ein junger Baum, während seine Füßen fest verwurzelt sind. Er wirkt wie einer, der eins ist mit sich, auch in seiner Schwäche. Seine Stimme ist tief und kraftvoll.

Ich hatte mich innerlich darauf vorbereitet, ihn bei diesem Termin zum letzten Mal zu sehen, und war ganz darauf konzentriert, ihn loszulassen, keine Erwartungen mehr zu haben und ihn spüren zu lassen, daß ich ihm alles Gute wünsche. Vielleicht hat diese Grundhaltung dazu beigetragen, daß es eine schöne Begegnung war, harmonisch und entspannt. Sie hat mich nicht traurig gemacht, sondern happy, auch noch ein paar Tage danach.
Ich wünsche mir, daß ich diese Grundhaltung beibehalten kann: ihn mögen, wertschätzen, und gehen lassen: Karabinerhaken, die sich lösen. „Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen,“ ist sein letzter Satz. Er betont das „du“, weil ich es ihm noch einmal angeboten hatte. Ein schöner letzter Satz.

Es war nicht das letzte Mal.

Klare Sicht

„Hat sich in Ihrem Leben in letzter Zeit grundlegend etwas verändert?“, fragt mich die Optikerin. Ich sehe nämlich auf dem rechten Auge manchmal schlecht. „Nehmen Sie Medikamente?“ Sie schaut mich streng an. Eine Ursache kann sie nicht finden.

Nachts träume ich von Crush. Ich sehe sein Gesicht glasklar, sehe jedes Detail seiner Gesichtszüge. Ich erzähle ihm von meinem rechten Auge, was ihn in einem Exkurs über die Physiologie des Sehens ausbrechen läßt. Zuhören kann ich ihm nicht, obwohl ich es verzweifelt versuche, aber mein Chef braucht mich: dringende Probleme, die nur ich lösen kann.

Am nächsten Tag gehe ich an ihm vorbei, dem echten Crush, sein Gesicht wie in meiner Erinnerung, die Jacke schwarz und nicht mehr grau wie noch im Herbst, das Blau seines Pullovers wie Tinte auf Briefpapier. Wir schauen einander an, zehn Schritte lang, und grüßen uns mit einem kaum merklichen Nicken. In mir zerrt meine Sehnsucht wie ein Bullterrier an einer Leine aus Leder. Ich würde mich gerne zu ihm setzen, einen Moment nur, mich mit ihm unterhalten, ihm nah sein, aber es gibt keine Nähe zwischen uns, nicht einmal, wenn unsere Hände sich berühren.
Ich weiß nicht, was er in mir sieht. Autoritätsfigur? Schräge Exzentrikerin? Irrer Clown? Vielleicht weiß er es selbst nicht, und fühlt sich deshalb so unsicher mit mir, obwohl ich das nicht will. Und ich? Ich werde nie rausfinden, wie er mich sieht. Ich werde nie mein eigenes Bild von ihm korrigieren können. Wir werden einander nicht erkennen.
Es fällt mir schwer, diese Ungewißheit auszuhalten. Ich verstehe, daß Obsessionen wachsen können aus einem Samen einer solchen Ungewißheit. Stattdessen denke ich an Karabinerhaken, die ich löse, Bindfäden, die ich durchschneide: loslassen, gehen lassen.
Hoffentlich weiß ich das noch, wenn ich ihn morgen wieder sehe.

Skateboardstürze

Er steht vor der Tür und raucht, die Menschen strömen an ihm vorbei. Ich gehe zu ihm, grüße, und schweige. Ich habe dazugelernt und halte mich an der Flasche Saft fest, die ich gerade gekauft habe. Schraube den Deckel ab, trinke einen Schluck, schaue ihn an. Er schweigt. Dann tritt er einen Schritt zurück, von mir weg, obwohl wir ohnehin mehr als einen halben Meter Distanz zwischen uns haben.
Ich sage zwei Sätze zu Freitag, er sagt, er schaue dann mal vorbei. Bis bald, sag ich, und gehe.

Da war er jetzt, der Raum, den ich ihm geben wollte, und er war nur mit Unbehagen gefüllt. In den letzten Jahren habe ich gelernt, Schweigen auszuhalten – Lektionen in Demut – aber ich kann es immer noch nicht besonders gut. Es beunruhigt mich. Und dieser Schritt zurück, von mir weg, erinnert mich an die Skateboarder, die ich gestern auf Youtube gesehen habe, wie sie sich durch Gravitation und Geschwindigkeit von ihren Brettern lösen und in Geländer krachen, auf Treppenstufen aufprallen, verbogene Gliedmaßen hochhalten und bluten, bluten. Ich bin der Skateboarder, er ist das Brett. Mache ich denselben Fehler wie vor ein paar Monaten, und begehre einen jungen Mann, der nicht den Mut hat, mir zu sagen, daß er mich abstoßend findet? Die Antwort lautet wohl: ja, und zieht die Frage nach sich: warum?
Vielleicht muß ich wieder einmal wissen, wie ich auf Männer wirke, und brauche ihn als Spiegel. Vielleicht braucht mein Begehren Raum, wenn auch nur von mir projiziert, konstruiert, aber doch immerhin mit einem realem Objekt: ihm. Vielleicht sollte ich es genau so sehen: als eine Möglichkeit, etwas über mich zu lernen, und als einen Prozeß, den ich ohnehin nicht steuern kann. Wir sind in Bewegung, nehmen Geschwindigkeit auf, und wenn die Haut sich abschürft, die Prellungen kommen, werde ich mich nicht beklagen.

(ohne Titel)

Ich drehe an kleinen Schrauben, bin zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Ich gehe zur Dir hin und rede, rede, rede.

Später fühle ich mich leer, weil ich nur geredet, aber
Dir keinen Raum gelassen habe. Zum reden oder sonstwas.

Freitag also. Du kommst, sagst du, und ich sage „cool“.
Cool bin ich nicht.

Elevator pitch

Ich werde ihn heute nicht sehen, denke ich, und wasche mir die Haare nicht, auch wenn ich mir die Augenringe überschminke, die ich habe, weil ich nachts so viel grübeln muß.

Er sitzt allein an einem Tisch in der Kantine, die ich gerade verlasse, mein leergegessener Teller auf meinem Tablett, und schaut hoch, schaut mich an, und lächelt dieses Lächeln, das mich trifft, weil es für zwei Sekunden aufrichtige Freude verrät. Wir grüßen, und ich gehe weiter, während unter meiner Bauchdecke ein Alien zappelt. Mein Körper, ein Verräter, lächerlich, so auf ein Lächeln zu reagieren.
Ich gehe zurück in mein Büro, ziehe mir den Mantel aus, und dann wieder an. „Ich gehe mir Kaugummis kaufen“, sage ich der Kollegin, „da war Knoblauch in der Soße“.
Durch die großen Fenster sehe ich ihn fünf Stockwerke unter mir. Ich drücke hektisch den Aufzugknopf, eine Süchtige auf der Suche nach ihrem Hit. Der Aufzug ist gegen mich, und mein Crush verschwunden, als ich unten ankomme. Ich kaufe Kaugummis und sehe ihn auf dem Rückweg in ein Nachbargebäude verschwinden. Tag der verpaßten Gelegenheiten, denke ich, und warte auf den Aufzug. Der Aufzug ist mein Freund: gerade, als sich die Türen schließen, erhasche ich einen Blick auf meinen Crush, drücke |<>|, die Aufzugtüre öffnet sich, und er steigt ein.

An der Auswahl von Gesprächsthemen für Aufzugfahrten muß ich noch arbeiten, aber wir unterhalten uns, kurz und ungeschickt, und ich bin high.

Tanzbärin

Natürlich stelle ich ihn mir vor: wie er sich auszieht, während ich in meinem weißen Sessel sitze. Wie er sein Schlüsselbein entblößt. Wie meine Hände sein Gesicht erforschen, bis mir nichts mehr fremd ist. Wie sich sein Haar abfühlen, und seine Hände in meinen Haar. Wie wir nebeneinander in meinem Bett liegen, und dann ineinander –

Mir ist das peinlich. Ich bin mir peinlich, weil ich mich nicht im Griff habe, mich verrenne, schon wieder, mich zur Närrin mache, mir einen Ring durch die Nase ziehen lasse, und wenn die Melodie erklingt, dann kann ich nicht anders und muß tanzen, plump.
Ich bin ein Druckkochtopf, so wie meine Mutter einen hatte, Sicomat, ich hatte immer Angst, daß er irgendwann explodiert. Oben entweicht pfeifend Dampf, innendrinn weiche Matsche. Ich glaube, ich explodiere auch bald.
Mir ist das so peinlich, daß ich mich nicht beherrschen kann, sondern beherrscht werde von dieser Mixtur aus Begierde, Sehnsucht, Einsamkeit, Trieb und biologischem Programm. Mein Gehirn wird zur weichen Matsche, und das macht mich wütend, macht mich zur Idiotin, rasend von Wut, Speichel spuckend.

Es ist ein Elend, und ich hasse die Männer, weil sie mich schwach machen, und ich liebe sie, und die Gedanken, die sie in mir wecken. Ich hasse diesen Zustand, und ich liebe ihn, weil er die Welt in kräftigen, leuchtenden Farben zeichnet.

Inneres Erdbeben

Meinen heimlichen Crush das erste Mal seit fast einem Jahr wiedergesehen. Ihn erkannt, von hinten. Immer habe ich Angst, daß ich die Menschen nicht mehr erkenne. Wenn ich versuche, mir Gesichter ins Gedächtnis zu rufen, scheitere ich oft, daher kommt diese Angst. Ihn habe ich sofort erkannt, sogar von hinten. Seine Haare, unter einer Basecap hervorragend, an die ich eine halbwegs bewußte Erinnerung hatte, und sein Körper, seine Körperhaltung, seine Größe, die Linie seiner Schultern und das leicht hochgezogene. Unbewußte Erinnerungen. Dann sein Gesicht, das ich erkenne, und bereits jetzt nicht mehr beschreiben kann.
Wir schauen uns an, während ich mit der Kollegin vorbeischlendere, zu viele Gedanken in meinem Kopf. In seinem Blick diese leichte, allgemeine Unsicherheit, eine große Wachheit und ein wenig Trotz. Ich bin ihm verfallen wegen dem, was sich in seinen Augen widerspiegelt.
Ich grinse, ziehe die Augenbrauen hoch. Er setzt zu einem Gruß an, der mittendrin verloren geht. Dann bin ich an ihm vorbei, und während ich überlege, mich umzudrehen und zu ihm zurückzugehen, haben mich meine Schritte bereits von ihm weggeführt.
Shit. Es wäre so cool gewesen.

***

Zwei Stunden später treffe ich mich mit der Fledermaus im Café um die Ecke, eine weitere Stunde später laufe ich zurück zu meinem Büro. Da kommt er mir entgegen, was ein kleiner Zufall ist, aber kein großer. Ich wußte, daß er in dem Gebäude, in dem mein Büro liegt, einen Termin hat, und konnte grob abschätzen, wann dieser vorbei sein würde. Jetzt bin ich also halbwegs vorbereitet, gehe direkt auf ihn zu und merke erst später, daß das vielleicht ein bisschen beängstigend war: eine kräftige, schwarz gekleidete, zu allem entschlossene Frau, pfeilgerade auf ihn zugehend. Ich sage „Hallo!“ und seinen Namen. Ich mag seinen Namen. „Wie gehts?“, frage ich, und wir tauschen Höflichkeitsfloskeln aus. Als er mich fragt, wie es mir geht, verknoten sich meine Worte. Eine Frage, auf die ich viel zu erzählen, viel über mich zu erzählen hätte, aber ich sage nur: „muß ja“. Frage ihn ein wenig nach seinem Termin, er bleibt einsilbig, wenn auch schüchtern lächelnd, seine Worte abgehackt, als verließe ihn der Mut mittendrin. Aber was weiß ich schon, ich kann Männer nicht besonders gut einschätzen.
„Du hast einen ziemlichen Eindruck bei mir hinterlassen“, sage ich, anerkennend. „Hoffentlich positiv“, meint er, und ich bejahe. Dann verabschieden wir uns.

Vielleicht wollte ich ihm nur das sagen: daß ich ihn schätze, daß ich viel von ihm halte. Ich habe ihn in der Schulung gedisst und wollte das schon lange geraderücken. Es fühlt sich gut an, diesen Aspekt zu einem runden Ende gebracht zu haben. Für ein paar Stunden hat mir das Treffen mit ihm ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert, mich leicht und beschwingt gemacht. Jetzt kommt ein wenig Traurigkeit hinzu, weil ich mich wieder erinnere, mich wieder ganz genau erinnere, was mir fehlt.
Wie wirds weitergehen? Wir werden einander wahrscheinlich hin und wieder zufällig begegnen, uns freundlich grüßen. Womöglich reden wir sogar miteinander: small talk und Floskeln. Alles andere wäre ein Wunder.