Zur Zeit Frust mit meiner Arbeit, weniger aufgrund äußerer Einwirkungen als vielmehr, weil ich mit meiner Leistung selbst unzufrieden bin. Diese Unzufriedenheit, das Ausbleiben von Ergebnissen und eine bisher so nicht gekannte Unsicherheit beim Experimentieren rauben mir die Freude und den Elan. Manchmal sehe ich mich aus der Vogelperspektive, wie ich abends viel zu lange aufbleibe, um den Morgen aufzuschieben, und am nächsten Tag viel zu müde bin. Wie ich mit fadenscheinigen Ausreden Experimente auf den nächsten Tag verschiebe, viel zu früh nach Hause gehe und dann nicht viel mit mir anzufangen weiß, weil die erschwindelte Freizeit einen seltsamen Beigeschmack hat. Dabei würde sich meine Situation am schnellsten verbessern, wenn ich mehr und besser arbeiten würde. Dann könnte ich auch wieder zufriedener mit mir sein.
(ohne Titel)
Das schöne am Essen ist, daß sich Sehnsüchte nach bestimmten Speisen relativ einfach befriedigen lassen.
Manchmal verzweifele ich an der Ungenauigkeit von Sprache: ich würde ein besseres Wort für Sehnsucht brauchen. Oder es immer in einen Kontext einbauen müssen, so wie oben, mit dem Finger drauf deuten und sagen: diese Art von Sehnsucht, ja genau. Oder von yearning sprechen, und von craving .
Heute habe ich einfach nur Hunger, keinen Appetit, nichts, daß nach etwas bestimmtem verlangt. Ihn zu stillen, ist deshalb nicht Lust, kein Vergnügen, sondern nur Pflicht.
hart aufgeschlagen.

Treppensturz am Ostbahnhof. Die Sanitäter gehen von einem Bruch aus und bringen mich ins Krankenhaus. Übertriebenerweise mit Blaulicht.
Eine sehr kühl wirkende Ärztin mittleren Alters, leicht ausgebrannt, begutachtet mich drei Minuten lang. Sie glaubt, daß ich mir Unterhaut und Gewebe beim Sturz abgeschabt habe, daher die starke Schwellung. Neues Wort gelernt: „Einblutung“.
Röntgen, zur Sicherheit, darauf warte ich mit fünf bis sechs anderen Unglücklichen, alle auf Liegen in einem langen Gang. Decken und Kissen gibt es nicht. Nach einer Stunde des Wartens erlaube ich mir, nachzufragen. Für das gesamte Klinikum gäbe es genau zwei Röntgenassistentinnen, erfahre ich, die gleichzeitig auch für das CT zuständig sind und gerade mobil auf den Stationen gebraucht werden.
Ich verbringe die Zeit, indem ich lese. Carlos Ruiz Zafón bringt mich in das Barcelona der 50er Jahre. Das funktioniert nicht immer, manchmal lese ich eine ganze Seite, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Ich habe Schmerzen und ich habe Angst. Bei einer Unterschenkelfraktur muß operiert werden, wird mir gesagt. Krankenhausaufenthalt, mehrere Wochen Gipsbein. Meine Eltern würden kommen müssen und wahrscheinlich auch kommen wollen. Meine Wohnung sieht schlimm aus, unordentlich, dreckig, Töpfe und Teller mit angetrockneter Tomatensoße; das würden meine Eltern dann zu sehen bekommen. In meinem Socken ist ein Loch.
In einer ruhigen Minute versammeln sich zwei Krankenschwestern und der Zivi um meine Liege, blicken auf mein verbogenes Bein. Eine der Frauen streicht mir sanft, ganz sanft über die verletzte Stelle. In meinem Kopf geht sofort die Analysemaschine los: ein uralter, unbewußter Impuls, denke ich, einen anderen Menschen durch eine Berührung heilen zu wollen. Mein Herz aber wird mir leicht bei dieser Geste, aus der so viel menschliche Wärme, so viel Mitgefühl spricht.
Nach drei Stunden werde ich geröntgt und vor das Zimmer der behandelnden Ärztin geschoben. Die Tür steht offen, sie telefoniert, ich kann ihren Rücken sehen. Ein Gespräch mit ihrem Vater, der anscheinend der Meinung ist, die Kinder der Ärztin hätten sich beim Weihnachtsfest nicht angemessen verhalten. Die Ärztin verteidigt ihre Kinder, will gleichzeitig ihren Vater beschwichtigen; immer wieder fällt er ihr ins Wort.
Sie legt auf und ruft mich ins Zimmer, ich könne laufen. Kein Bruch also. Auf einmal ist die Atmosphäre sehr gelöst, nicht nur, weil ich enorm erleichtert bin, sondern auch, weil ich viel Sympathie für diese Ärztin empfinde, nachdem ich einen Blick auf ihre Bürden erhascht habe.
Ich nehme mir ein Taxi, zum dritten Mal in meinem Leben, lasse das Klinikum hinter mir, froh, dem institutionalisiertem, fremdbestimmten Krankenhausalltag entkommen zu sein.
Als ich zuhause bin, räume ich erstmal auf.

Silvester.
Ich hasse Silvester, das bescheuertste Fest überhaupt. Erzwungene Fröhlichkeit, termingenauer Spaß. Ich finde Spaß ja generell schwierig, und dann auch noch auf Kommando.
Nun ja, man muß es irgendwie rumkriegen. Für mich gibt es folgende Möglichkeiten:
a) auf eine große Party gehen, z.B. im Knaack
Vorteile: in großen Menschenmassen erfordert es nur minimale schauspielerische Fähigkeiten, um Fröhlichkeit vorzutäuschen. Außerdem: man kann hinterher behaupten, was cooles gemacht zu haben.
Nachteile: die Hölle, das sind die anderen. Außerdem: mit der BVG und lauter besoffenen, böllerschmeißenden Idioten nach Hause fahren zu müssen.
b) Privatparty mit Freunden
Vorteile: Freunde eben.
Nachteile: schwierig zu organisieren, da sie sich zum Teil untereinander nicht leiden können oder sich nicht kennen. Zudem haben die meisten schon eigene Pläne.
c) alleine zu Hause bleiben
Vorteile: absolut kein Streß (das zählt mindestens doppelt)
Nachteile: hinterher erzählen zu müssen, man hätte Silvester alleine zu Hause verbracht. Wirkt irgendwie armselig. Evt. Depressionsgefahr.
Hoffentlich ist es bald vorbei.
(ohne Titel)
Der Bruder meines ehemaligen WG-Mitbewohners hat sich vor ein paar Jahren erhängt, im verschneiten Wald. Ich kann das gut verstehen. Ein Teil von mir würde manchmal auch gerne hinausgehen und sich in den Schnee legen, bis aller Schmerz betäubt ist, eingefroren, wie ein Eisbeutel auf einem verletzten Gelenk.
Seit etwa einem Jahr bemühe ich mich, intensiver zu leben und die Sehnsüchte, die ich habe, zu erfüllen. Langsam wird mir klar, daß sie wohl unerfüllbar sind. Mein Weg ist eine Sackgasse.
weiß
In konzentrischen Kreisen breitet sich das Weiß aus; in seiner Mitte meine Hand zwischen meinen Schenkeln. Das Weiß, die Stille, die Ruhe fließt über den Dielenboden, durch die Wand, über Pflastersteine hinweg bis zur Warschauer Straße, bis zum Ostkreuz, bis zur Frankfurter Allee und darüber hinaus. Am Anfang ist es Arbeit, diesen Zustand aufrecht zu erhalten. Die Gedanken, die kleinen Ärgernisse lecken am Rand der weißen Fläche und müssen zurückgedrängt werden: falsch gebuchte Bahntickets, falsch gebuchte Konzertkarten, Schuhe mit Löchern in den Sohlen und immer wieder Geld, Geld. Kleine Ungerechtigkeiten im Arbeitsalltag, mißmutig genehmigte Urlaubsanträge, falsche Ratschläge, bevorzugte Kollegen.
Dann bin ich nur noch Körper, Gefühl, gereizte Nervenenden. Frei von Gedanken. Schwerelos.
Noch bevor mein Atem wieder ruhiger geht, sehe ich, wie meine kleinen Probleme zu mir zurückschwappen. Ich sehe auch, wie klein sie sind, nichtig eigentlich. Viel lieber möchte ich das kleine Glück genießen: ein Mensch, der sich mir wieder zuwendet, eine berufliche Aufgabe, deren Lösung sich abzeichnet. Das ist es doch, was Beachtung verdient.
(ohne Titel)
There is baby
there is
a sudden happiness
(ohne Titel)
Ich glaube wirklich, es liegt am Montag.
180°
Er sagt, er glaube an die Macht der Autosuggestion. Er hätte sich in den letzten Jahren um 180° gedreht. Er würde jetzt genau das Leben leben, von dem er immer geträumt hätte.
Er sagt, er glaube, daß nichts irreversibel sei. Alles könne man wieder reparieren, wiedergutmachen. Deshalb habe er auch wenig Angst. Was soll schon schiefgehen.
Er ist sehr lustig, macht viele Witze. Da ist auch viel Ironie, sogar Ironie in der Ironie. Wenn er etwas sagt, dann weiß man nie: meint er das jetzt ironisch, also genau das Gegenteil, oder ist er doppelt ironisch, also das Gegenteil vom Gegenteil?
Ich kann keine Ironie. Ich kann auch nicht lustig.
Ich weiß, daß alles irreversibel ist, jede Entscheidung, die ich treffe, bringt mich an einen anderen Punkt. Jede Erfahrung verändert mich, ich kann nicht an den Ausgangspunkt zurück, kann nicht wieder der Mensch x an einem Ort y zur Zeit z sein, das geht nur einmal.
Für mich ist alles 180° anders als für ihn.
Herrenbesuch
Und deshalb werde ich morgen „das Haus am Eaton Place“ verpassen.
Das tut weh. (Ich hoffe ja sehr, daß Hazel etwas mit ihrem Schwiegervater anfangen wird. Sie paßt viel besser zu Richard als zu James.)