Traumnovelle

Ich gehe einen langen, schmalen, von Neonlicht beleuchteten Gang entlang. Abwärts, gelegentlich Treppenstufen. Neben mir läuft eine Freundin, mit der ich mich beiläufig unterhalte. Wir kommen an einem Mann vorbei, der vor einer verschlossenen Tür wartet. Wir gehen weiter.

Ich laufe denselben Gang entlang, die Freundin neben mir, mit der ich mich beiläufig unterhalte. Wir kommen an einem Mann vorbei, der vor einer verschlossenen Tür wartet. Er erinnert mich an Robert Smith, Lord Byron und die Traumnovelle. Wir gehen weiter.

Ich laufe wieder denselben Gang entlang, die Freundin neben mir, mit der ich mich beiläufig unterhalte. Wir kommen an diesem Mann vorbei, der still und betrübt vor der verschlossenen Tür einer Dominatrix wartet, dass sie ihn empfangen möge. Wir gehen weiter.

Ich laufe wiederum denselben Gang entlang, die Freundin neben mir, mit der ich mich beiläufig unterhalte. Wir kommen an dem Mann vorbei, der vor der verschlossenen Tür wartet. Wir gehen weiter. Dann bleibe ich stehen, drehe mich um und gehe zu ihm zurück. „Das darfst du nicht!“, ruft die Freundin entsetzt. Ich spüre, wie ich mich entgegen einer Strömung bewege, doch ich bin mir sicher, bin entschlossen und unantastbar. „Du gehörst jetzt zu mir“, sage ich zu ihm, und schließe ihn in die Arme.

Aktionspotential

Was tun, damit die Begierde erlischt? Manche haben zu wenig, ich habe derzeit zu viel, tauschen können wir nicht. Es ist ein interessante Hypothese, dass man nur oft genug masturbieren müsse, leider ist sie falsch. Sicher, es macht die Spitzen der Begierde stumpf, die sich in einen bohren, rundet die Kanten ab von dem, was einen innerlich zerreibt. Am Ende aber ist es ganz egal, wie oft man zuckend und hyperventilierend kommt. Man bleibt allein mit sich, ohne den, den man neben sich, in sich wünscht, und wenn die Nervenenden nicht mehr können, bleibt da doch noch etwas anderes in einem, das flirrend und flügelschlagend im Brustkorb zittert.

Mindgames vielleicht. Bruchrechnen, Primzahlen, Balkonkacheln zählen. 5 Dinge, die man sieht, 4 Farben, 3 Gefühle, 2 Geräusche, 1 Geruch. Die Gedanken verteiben, das Kreiseln einstellen. Am ehesten hilft noch Text: Worte, die durch einen hindurchfließen, von einem anderen Leben erzählen, unvereinbar mit dem eigenen. Die Phantasien überschreiben lassen, in fremde Realitäten eintauchen und am Ende in der eigenen aufwachen – verwundert, aber nicht ablehnend und irgendwie vertraut.

Auf das Blut hoffen, das kommt und einen reinwäscht, ein Gleichgewicht im chemischen Wirrwarr wiederherstellt, sich einreden, das wäre alles nur wegen des Oxytocins. Auch nur ein x von einem Gift entfernt.
Die Krämpfe, die Demut lehren, und der Erinnerung dienen: Memento Mori. Der Mond soll heute blutrot sein, der Mond zieht seine Bahnen, beginnt und endet, so wie ein Kreis ein Anfang und ein Ende hat, und auch ich kann vielleicht neu anfangen, und es besser machen.

mehr als ein Jahr

Jetzt schon mehr als ein Jahr im neuen Job. Am Anfang bin ich oft mit anderen zusammengestoßen, wortwörtlich. Hier haben sie die Etikette zutiefst verinnerlicht: die Dame hat immer den Vortritt, und der Mann hält ihr die Tür auf. Ich habe einmal unserem Europachef die Tür aufgehalten, da ist er beinahe wütend geworden, und ich habe verstanden; habe gelernt, mir den Vortritt gewähren zu lassen. Ich gehe nun zügig und zielstrebig auf die Tür zu, koordiniere meine Schritte mit dem Mann, der mir im Gang begegnet, so dass daraus ein müheloser, leichter Tanz geworden ist.

(ohne Titel)

Übellaunig. Wegen eines kaputten Fensterhebers und daraus resultierendem halboffenen Autofensters muss ich in die Werkstatt, und zwar sofort, Montag morgens, kein prokrastinieren möglich. Es würde mehr Spaß machen, 250 Euro einfach so auf dem Balkon zu verbrennen, und ich hätte nicht so früh aufstehen müssen; aber so sitze ich einem fünfzigjährigen Automechaniker gegenüber, der mit glazialer Geschwindigkeit Daten von meinem Fahrzeugschein in den Computer tippt.

Mit der Tram zur Arbeit. An einer Haltestelle steigt Crush ein. Ich bin verblüfft, und schaue lange hin, um die Unterschiede zu finden: er ist genauso groß, die Haare struppig und wild, die Attitüde missmutig – so ein versiffter Student eben. Es ist mir unverständlich, warum ich ausgerechnet darauf anspringe, aber ich tue es. Er ist fülliger, die Augenbrauen gerader, aber erst an den Winkeln seines Gesichtes erkenne ich, dass es nicht der originale Crush ist, sondern jemand, der dieselbe Essenz teilt. Ich wünschte, es gäbe einen Props-Daumen, einen Like-Button, einen Fave-Stern.

Manchmal fürchte ich mich davor, an meinem letzten Tag vor Gott zu stehen, der mit den Augen rollt und mich fragt, warum ich ihn nicht gefunden habe. Der, der für mich bestimmt ist, und ich für ihn. Warum ich ihn nicht gefunden habe, trotz diesem eingebauten Magnet, warum ich Gelegenheiten habe verstreichen lassen, verpasst habe. Und wie der arme Mann, weil er mich nicht gefunden hat, sich quälen musste mit Frauen, die nicht mit ihm schlafen wollten, die ihn genervt haben oder gelangweilt.
Aber womöglich gibt es keinen Gott, und wir sind nur flüssigkeitsgefüllte Fleischsäcke beherrscht von Hirnströmen, die zuckend verlöschen, wenn wir dieses Leben aufgebraucht haben.

Rückspiegel

Ein Satz geistert durch mich, zu lange schon, zu oft. Ich habe mein Leben gegen die Wand gefahren. Er stimmt nicht, dieser Satz, und reißt mich doch immer wieder in eine große Traurigkeit. Die Stimme in mir, die ihn spricht, ist die jener eins komma null Abiturientin mit ihren Träumen von Cold Spring Harbor und Emmy Noether. Groß wollte ich sein, groß träumen soll man auch, geworden ist daraus nichts. Dieses Leben habe ich gegen die Wand gefahren (saß ich überhaupt am Steuer?), aus der einspurigen Carrera-Bahn hat es mich herausgeworfen. Diese Möglichkeiten stehen mir nicht mehr offen, sondern andere. Wenn ich weinen würde um alles, was ich verloren habe, ich würde kein Ende finden. Es würde mir auch nichts nützen. Es wird Zeit, den Blick vom Rückspiegel zu lösen. Es ist nicht mehr alles möglich, aber noch vieles, und wartet darauf, von mir getan zu werden.

Disintegration by Snow & Voices

(ohne Titel)

Man braucht die Liebe besonders in Zeiten wie diesen:

wenn man sich dünnhäutig fühlt,
müde, stumpf, fremd,
unsichtbar.

Indes,
jene, die glänzen, lachen
gewinnen und sich ihrer sicher sind,

sie sind so viel anziehender und so viel leichter zu lieben.

Fast ein Monat

Das Experiment, einen Monat lang jeden Tag zu bloggen, ist nun um. Es war beschwerlich, es war aufschlussreich und jetzt, wo es vorbei ist, kann ich sagen: es war schön.

Ich hatte eine lange Phase, in der ich nichts geschrieben habe, nichts schreiben konnte und wollte, weil ich nichts festhalten konnte und wollte. Es war eine Zeit, die man besser vergisst, die sich kaum aushalten ließ, sie zu reflektieren wäre unerträglich gewesen. Letztendlich hat sie einen Text geboren, in dem alles kondensiert erzählt wird. Der Text war ein erster Schritt dahin, diese Erlebnisse zu integrieren, als Teil von mir selbst anzunehmen. Es ist mein vielleicht bester Text, ich bin durchaus stolz darauf, aber er wirft auch einen langen Schatten. Daher dieses Experiment, angelehnt an einen Eintrag in Zen Habits, der behauptet, dass es etwa einen Monat dauert, damit sich Gewohnheiten ändern. Eine Veränderung habe ich durchaus bemerkt: das Schreiben wird mit der Zeit leichter, der Berg, den es zu überwinden geht, wird kleiner; es ist, als ob die Stellen in einem, die schreiben und etwas sagen wollen, muskulöser werden. Beim bloggen rücken die älteren Texte mehr und mehr nach hinten und aus dem Sichtfeld heraus, je mehr man schreibt, und so verschwinden die Schatten und machen Raum für etwas neues.
Es war überraschend, was ich so geschrieben habe: manche Texte finde ich ziemlich schwach, viele Themen kommen mir redundant vor, aber genau diese Texte haben meist viel Feedback ausgelöst. Einige Texte sind wirklich schön geworden, unerwartet und ohne Mühe. Die eine oder andere Erkenntnis war für mich wichtig und richtig und wäre, hätte ich sie nicht aufgeschrieben, vielleicht einfach so im Alltag untergegangen. Vor allem aber habe ich wieder gemerkt, wie erfüllend und befriedigend es ist, kreativ zu sein, etwas zu schaffen. So wird jeder Blogeintrag zu einem kleinen positiven Erlebnis, in der Summe macht das Lust darauf, sich hinzusetzen und etwas zu schreiben. Diese Lust zu haben ist viel wichtiger, als Zeit zu haben. Zeit hat man nie, Gründe finden sich immer, indes – wer will, findet Wege. Ich hoffe, dass ich Wege finden werde, auch mal längere Zeit an einem Text zu arbeiten. Unbestreitbar leidet die Qualität unter der Quantität, und ich bedaure die guten Ideen, die ich nicht habe genug ausarbeiten, ausformulieren, zu Ende denken können.
Ich wünsche mir, dass ein Teil der neu gewonnenen Leichtigkeit bleibt, dass ich weiterhin Lust und Mut haben werde, etwas zu schreiben, einfach so, und zu sehen, was passiert. Ganz Fast ohne Druck.

Und was meinen Sie? Wie hat Ihnen mein kleines Experiment gefallen?

(ohne Titel)

Ich trage die Haare offen. Ein wenig aus kindlichem Trotz – ich stelle mir vor, wie ich meinem kleinen Chef, der mich gestern geärgert hat, auf die Unterlagen haare; wie er später ein Haar im Salat findet und zieht und zieht und zieht, einen halben Meter lang. Der Gedanke heitert mich auf.

Als sie erkannt hatte, dass sie intellektuell alles erreicht hatte, was ihr möglich war, wandte sie sich ganz ihrem Körper zu heißt es in einem Buch – oder war es ein Blog? Ein schöner Satz, der sich hämisch denken läßt, wenn man den öffentlichen Raum mit einer überschminkten Frau teilen muß, von der man sich wünschte, sie würde ihren liplinerumrandeten Mund geschlossen halten. Aber auch eine gute Frage – wann wird es bei mir so weit sein? Und was mache ich dann aus diesem Körper?

Die Mutter meines Nachhilfeschülers hatte während Ceaușescu in einem Hotel am schwarzen Meer gearbeitet. Dort gab es abends nichts zu tun, nichts zu unternehmen, erzählte sie, im Fernsehen lief auch nichts, da habe sie ihre Zeit ganz darauf verwendet, sich zu pflegen.

Heute lasse ich mich gehen. Kein festgezurrter, funktionaler Dutt, kein aufgeräumter Pferdeschwanz. Ich fange den Wind ein in meinen Haaren.

U2

Es gibt nicht mehr viele, aber doch noch einige andere Plätze, die ich hätte wählen können; aber ich entscheide mich für den Platz dem Studenten gegenüber. Ich habe die plötzliche und überraschende Idee, sehen zu wollen, ob seine Hose eine Beule bekommt. Ich überlege, ob es antifeministisch ist, mich selbst zu reduzieren auf meinen Körper und dessen Wirkung – wohl eher ist es sexistisch, den jungen Mann zu reduzieren auf seine Körperlichkeit. Und so sitzen wir einander gegenüber, zwei Körper, zwei Seelen, und ich werde nicht klug, weil seine Jeans zwar mächtig Falten wirft und er die Hände oder sein Handy auf seinem Schoß drapiert, aber vor allem, weil ich halt nichts weiß über Männer; auch nichts über Jungs.
Weil ich mir Fragen stelle, weil ich mich gelegentlich Männern gegenüber setze, die ich attraktiv finde, und weil ich öfter als mir lieb ist überhaupt Männer attraktiv finde, weiß ich eines ganz sicher: ich bin noch nicht tot.

alles anders

Von Dienstag auf Freitag plötzlich eine neue Jahreszeit, als hätte jemand das Kalenderblatt abgerissen, und darunter kommen satte Farben und pralle Blüten zum Vorschein. Nach der Arbeit ist es noch so hell, dass ich auf die Uhr schauen muss, um mich zu vergewissern, dass ich nicht eine Stunde zu früh nach Hause gegangen bin. Die U-Bahn ist leer wie sonst nie, und mein Buch ist so gut, dass mir nach fast einem Jahr passiert, was ich immer schon befürchtet hatte: ich fahre eine Station zu weit. Auch mal was anderes.

Ich mag, wie es jetzt gerade ist. Die Arbeit, mich selbst, die Wohnung, die Stadt und die Menschen darin. Aber – kann es auch so bleiben?